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Aus dem Gemeinderat
12.05.2022
26.06.2022 21:46 Uhr

Im Zürcher Stadtparlament ein Genderwatch-Protokoll führen

Bild: zvg
Uns reicht es nicht, zu zählen, auf wie vielen Stühlen im Ratssaal Frauen sitzen.

Marion Schmid, Gemeinderätin SP, Kreis 1 und 2

Anfang März habe ich im Gemeinderat zusammen mit Selina Walgis von den Grünen einen Vorstoss eingereicht, der verlangt, dass im Zürcher Stadtparlament ein Genderwatch-Protokoll geführt wird, das aufzeigt, wie das Verhältnis der Geschlechter bei den Wortmeldungen und der Redezeit ist. Über den Vorstoss wird erst diese Woche abgestimmt, er hat aber schon einige ablehnende Reaktionen provoziert.

An vorderster Front, wen wunderts: Susanne Brunner, langjähriges Ratsmitglied der SVP und selbsternannte Kämpferin gegen den «Gender-Wahnsinn». Für sie war sofort klar, dass wir damit eine Redequote nach Geschlecht verlangen und den Männern einen Maulkorb verpassen wollen.

Enttäuscht hat mich, dass verschiedene Zeitungen ihre Unterstellungen kritiklos und prominent übernahmen. Das «Badener Tagblatt» setzte ihr Zitat gar direkt in den Titel: «SP und Grüne untergraben demokratische Regeln».

Das Prinzip ist bekannt: In vielen Medien werden politische Forderungen bewusst möglichst extrem präsentiert. Denn provokative Aussagen schüren Empörung – und sorgen damit für Klicks. Dass solche Empörungsbewirtschaftung der sachlichen und konstruktiven Diskussion schadet, nehmen sie dabei in Kauf. Dabei geht es uns genau um das: Wir wollen eine sachliche Diskussion darüber, wie die Geschlechter im Parlament repräsentiert sind, auf der Basis von handfesten Fakten. Uns reicht es nicht, zu zählen, auf wie vielen Stühlen im Ratssaal Frauen sitzen, sondern wir wollen wissen, wer in der Debatte und damit in der öffentlichen Wahrnehmung wie viel Raum einnimmt.

Wir gehen davon aus, dass die Frauen in Bezug auf Wortmeldungen und Redezeit im Rat noch stärker untervertreten sind. Gleiches gilt auch für andere untervertretene Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel Junge oder Menschen mit Migrationshintergrund. Das sollte uns zu denken geben. Das Bewusstsein für die Problematik und das Wissen um ihr Ausmass ist die Voraussetzung, um ihr entgegenzutreten. Ob und wie sie das tun, müssen die verschiedenen Parteien und ihre einzelnen Ratsmitglieder für sich entscheiden. Sie werden dabei zu ganz unterschiedlichen Schlüssen kommen und allenfalls Massnahmen treffen.

So wird die eine vielleicht einfach mal mehr und der andere mal weniger reden. Progressivere Fraktionen werden die Problematik ernsthafter angehen und sich schon bei der Besetzung der Ämter und Kommissionen entsprechend Gedanken machen. Oder sie haben damit bereits begonnen. So sind beispielsweise unter den Fraktionspräsidien unterdessen drei Frauen. Das sind nicht viele, aber immerhin drei mehr als in der letzten Legislatur. Eine davon ist meine Mitinitiantin Selina Walgis – herzliche Gratulation an dieser Stelle!

In der Rubrik «Aus dem Gemeinderat» schreiben Volksvertreterinnen und Volksvertreter regelmässig einen Beitrag. Alle im Stadtparlament vertretenen Parteien bekommen hierzu regelmässig Gelegenheit. Die Schreibenden äussern im Beitrag ihre persönliche Meinung.

Marion Schmid, Gemeinderätin SP, Kreis 1 und 2