Es ist eine Geschichte, die wohl hin und wieder vorkommt. Ein Nachbarschaftsstreit, der vor Gericht landet. Doch weil es im vorliegenden Fall um die hochemotionalen Themen «Bäume» und «naturnahes Gärtnern» geht, lohnt es sich, etwas detailliert auszuholen.
Rekordhitze als Kontext
Zürich wappnet sich aktuell für die Hitze. Dabei geht es nicht nur um einige heisse Tage jetzt im Hochsommer. Es ist ein Trend, der durch die Messwerte von Swiss Meteo am Zürichberg dokumentiert wird. Die heissesten Tage und Monate seit Messbeginn vor gut 150 Jahren stammen alle aus den letzten Jahren. Als probates Mittel gegen die Hitze in der Stadt werden laut Experten Bäume genannt. Oft werden im Umfeld von Bäumen gut 5 bis 7 Grad tiefere Temperaturen gemessen. So propagiert die Stadt das Bäumepflanzen, und es gibt ein Alleenkonzept, damit mehr Bäume gepflanzt werden bei Strassensanierungen.
Werden markante Bäume gefällt, gehen oft die Wogen hoch. So etwa im Frühling, als im Wolfbachtobel gegen hundert Eschen gefällt wurden. Sogar Bestsellerautor Martin Suter nervte sich öffentlich.
Kein allgemeiner Baumschutz
Doch wie sieht es mit dem generellen Baumschutz aus? Bereits im Zuge der Ökologiebewegung in den 1980er-Jahren wurde der Ruf nach Baumschutz lauter. Die Stimmberechtigten hatten am 17. Mai 1992 einer hierzu erarbeiteten Baumschutzverordnung zugestimmt. Diese wurde aber infolge von Rechtsmittelentscheiden aufgehoben, da ein gemeindeweiter, flächendeckender Baumschutz im Widerspruch zum kantonalen Planungs- und Baugesetz stehe. Seitdem gibt es in Zürich lediglich Baumschutzvorschriften für Bäume in gewissen Gartenschutzgebieten. Dies betrifft aber höchstens einige wenige Prozent des Stadtgebiets. Im übrigen Stadtgebiet ist das Baumfällen auch in Gärten grundsätzlich erlaubt.
Diese also durchaus legitime Forderung nach einer Baumfällung möchte ein Bewohner in Hottingen durchgesetzt haben, und zwar bei drei hundertjährigen und 15 Meter hohen Bäumen des Nachbarn Walter Lüthold, die nahe an der Grundstücksgrenze stehen. Zwar wurden diese gut 50 Jahre vor seinem in den 1980er-Jahren erstellten Neubau gepflanzt. Zudem stammt das Haus der Familie Lüthold an der Freiestrasse von 1892, die Ersatzneubauten des Nachbarn von 1980.
Bäume, Hecken, Efeu stören
Aber heute verursachen die Bäume laut der Anklageschrift Schatten und sind wegen möglichen Fallholzes gefährlich. Weiter fordert der Nachbar, der nicht mit Namen in der Zeitung erscheinen möchte, dass der gesamte weitere Baum- und Heckenbestand entlang der Grundstücksgrenze massiv zurückgestutzt werden soll. Zudem stört ihn der Efeubewuchs an seiner Hauswand, welche genau an der Grenze steht. Schriftliche Fragen dieser Zeitung wollte der Kläger nicht beantworten. Er war aber nach der Verhandlung bereit, einige Fragen zu beantworten – mit der (legitimen) Auflage, dass sein Name nicht genannt werde.
«Der reinste Horror»
Mit Namen hinstehen mag hingegen der Angeklagte Walter Lüthold. Für den 74-Jährigen ist dieser Nachbarschaftsstreit der reinste Horror. «Es geht um Rechthaberei. Der vom rechtsschutzversicherten Nachbarn beklagte Schattenwurf ist umso absurder, als dessen Jalousien bei jedem Wetter heruntergelassen sind», so seine Beobachtung. Lüthold ist hier im Haus seiner Eltern aufgewachsen und hat es in den 1990er-Jahren übernommen. «Die Kritik des Nachbarn an unserem Garten besteht schon seit gut 30 Jahren. Eingeschriebene Briefe, Mails mit Beweisfotos und nun die Anklage vor Bezirksgericht», weiss Lüthold. Dabei habe er immer versucht, einen Konsens zu finden. Ein Besuch bei der Friedensrichterin Susanne Pflüger verlief hingegen erfolglos. In der Hoffnung auf eine gütliche Lösung liess Lüthold trotzdem grosse Teile der Bepflanzung roden gemäss der Forderung des Nachbarn.
20-seitige Anklageschrift
Und nun also der Gerichtstermin. Lüthold musste letzte Woche vor Gericht erscheinen. Vorher galt es, die über 20-seitige Anklageschrift Punkt für Punkt zu beantworten. «Sonst geht der Richter davon aus, dass man mit dem Anklagepunkt einverstanden ist», erklärt Lüthold.
Und so trafen sich die Parteien mit ihrem jeweiligen Anwalt am Montag vor einer Woche um 13.30 Uhr vor Bezirksgericht, um über Gebüsche, Bäume und kletternden Efeu zu streiten. Eine Sache, die streng nach Gesetz durchaus ihre Berechtigung hat, aber doch etwas weit hergeholt wirkt.
Instabile Bäume, Einsturzgefahr
Bei der (öffentlichen) Gerichtsverhandlung unter dem Vorsitz von Dr. Christoph Fuchs listete der Anwalt des Klägers minutiös die negativen Einflüsse von Liguster, Hasel, Hartriegel, Holunder, Stechpalme und natürlich von den Scheinzypressen auf. Er forderte ein Gutachten oder zumindest einen Augenschein vor Ort. Zudem kritisierte er übermässige Feuchtigkeit, welche durch den Schattenwurf an der Fassade des Hauses seines Mandanten auftrete. Zudem warnte er mehrmals vor möglicher Instabilität und Einsturzgefahr der Bäume.
Der Anwalt von Walter Lüthold brachte die drohende Hitze nach der geforderten Baumfällung ins Spiel, sowie die durch die Rodungen gefährdete Biodiversität. Er sagte, dass die Nachbarhäuser mehr Schatten werfen würden als die Scheinzypressen. Ein Thema waren auch die ortsüblich hohen Bäume, die sich der ganzen Strasse entlangziehen.
Über vier Stunden Verhandlung
Klägerpartei und Gegenseite referierten von 13.30 Uhr – mit einer Pause – bis gegen 16.30 Uhr. Dazu kamen Rückfragen des Gerichtspräsidenten. Dann zog sich das Gericht zurück für die Beratung. Für die Urteilsverkündung, die erst gegen 18 Uhr erfolgte, war der Chronist nicht mehr zugelassen.
Auch wenn das schriftliche Urteil noch aussteht, schon mal so viel: Es gab einen Vergleich. Und das Urteil lautet zusammengefasst so: Die Sträucher entlang der Grundstücksgrenze können bleiben, müssen aber alle zwei Jahre zurückgeschnitten werden. Sie dürfen eine Höhe von 2 Metern nicht überragen.
Und: Eine der drei grossen Scheinzypressen muss weg und demnach gefällt werden. Die Kosten dafür werden halbiert zwischen den Nachbarn. Zudem müssen sich die beiden Parteien auch die Gerichtskosten teilen.
Der Kläger sagte nach der Verhandlung, er sei zufrieden mit dem Urteil. «Mein Nachbar muss nun die Vorga-
ben bis Ende Oktober umsetzen. Ich bin nicht per se gegen Bäume, darum reicht mir dieser Kompromiss», so der 76-Jährige.
«Eine Katastrophe»
Ganz anders die Reaktion von Walter Lüthold: «Es ist eine Katastrophe, ich bin überhaupt nicht zufrieden.» Dabei habe sogar der Richter gesagt, dass er es eigentlich bedauere, dass es solche Gesetze gebe. Lüthold wird sich nun dem Urteil fügen müssen und den Gärtner aufbieten.