Am Anfang stand die Neugier eines Vaters. Warum eigentlich, so fragte sich Stascha Bader, trägt das Primarschulhaus, das seine Tochter im Kreis 6 besucht, den Namen «Scherr»? Schnell fand er heraus, dass die Schule ihren Namen einem gewissen Ignaz Thomas Scherr verdankt. Eine weitere Recherche zeigte ihm, dass dieser Scherr ein bemerkenswerter Pädagoge und ein wichtiger Pionier der Volksschule im Kanton Zürich war.
Aus Württhemberg
Ignaz Thomas Scherr (1801–1870) stammte aus dem deutschen Württemberg und wurde wie schon sein Vater Lehrer. 1825 berief man ihn nach Zürich, um hier eine Blindenschule zu leiten. 1831 wurde er eingebürgert und ein Jahr später vom Regierungsrat als Direktor des Lehrerseminars in Küsnacht gewählt. Scherr wurde zur treibenden Kraft hinter der Modernisierung der Lehrerbildung und dem Aufbau der Zürcher Volksschule. Er setzte sich als Liberaler für eine säkulare Schule ein, er gehörte auch dem Erziehungsrat an und schuf verschiedene Lehrmittel.
Das ging nicht ohne erbitterte Kämpfe gegen die Konservativen, und nicht selten liess er sich abends nach Sitzungen auf dem Heimweg von Zürich nach Küsnacht wegen wüsten Drohungen des politischen Gegners von kräftigen Seminaristen begleiten. Damals, vor der Gründung der modernen Schweiz, waren die politischen Auseinandersetzungen heftig und nicht selten auch gewalttätig. Als dann nach dem Züriputsch von 1839 die Konservativen im Kanton Zürich an die Macht kamen, wurde Ignaz Thomas Scherr sofort entlassen.
Förderer der modernen Volksschule
Er gründete weitere Schulen, in Winterthur und auch im Kanton Thurgau, wo er später Wohnsitz nahm. In Zürich erinnerte man sich später wehmütig an den pädagogischen Pionier, und als die Gemeinde Oberstrass das neue klassizistische Schulhaus neben der Kirche baute, gab man ihm den Namen des Förderers der modernen Volksschule: Ignaz Thomas Scherr. Ob der Bau 1864 oder 1865 erfolgte, ist übrigens nicht ganz klar, wie man bereits beim 125-Jahr-Jubiläum der Schule Scherr vor ein paar Jahren merkte.
Frage an Corine Mauch
Stascha Bader, der neugierige Vater, war begeistert, als er von dieser Biografie erfuhr. Und er fragte per E-Mail an die Stadtpräsidentin, ob es Scherrs Leben und seine Verdienste nicht wert wären, auf einer Tafel am Schulhaus bekannt gemacht zu werden? Er rannte offene Türen ein. Bei der Enthüllung der Tafel am Schulhaus am 31. Oktober sprach Dominik Schaub, der Vertreter der Stadtzürcher Präsidialabteilung, von einem «offensichtlichen Defizit», dass Ignaz Thomas Scherr bis anhin nirgends gewürdigt worden sei. Und Schulleiter Martin Stotz sagte: «Als ich davon hörte, wusste ich sofort: Das müssen wir haben!»
Quartierverein half mit
Auch Bettina Uhlmann, die Präsidentin des Quartiervereins Oberstrass, die einst ihre Primarschulzeit im Scherr verbracht hatte, fand es toll, dass die Stadt die Wissenslücke bei ihr und vielen anderen so unkompliziert gestopft habe. Stascha Bader, der Initiant, bemerkte sogar, die umstandslose Reaktion der Stadt auf seinen Wunsch habe bei ihm das Vertrauen in die Institutionen gestärkt.
Jetzt kann man es nachlesen
Künftig können sich Schülerinnen und Schüler, neue und alte Lehrkräfte und alle Passantinnen und Passanten auf der weissen Tafel rechts neben dem Haupteingang der Schule schlaumachen darüber, was das für einer war, dieser Ignaz Thomas Scherr.