Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland
Zürich Nord
28.11.2022
28.11.2022 11:06 Uhr

Hier führen Jugendliche Musicals auf – seit 25 Jahren

Der aktuelle Cast mit Leitung (von oben links): Chris Meier, Joëlle Regli, Alessandra Presicce, Alice Moreni, Sebastian Berroth, Alex Snaidero, Oriana D’Angelo, Zoé Piguet, Viktor Szlovák, Anushka Tintor, Lars Reimann, Julia Berroth, Raphael Jenni, Victoria Engler, Tamara Knecht, Pascal Schleiss, Jessica Graf, Fiona Fischer, Rahel Köppel, Fiona Meier, Alicia Bänziger. Auf dem Bild krankheitshalber abwesend: Yasmine Huber.
Der aktuelle Cast mit Leitung (von oben links): Chris Meier, Joëlle Regli, Alessandra Presicce, Alice Moreni, Sebastian Berroth, Alex Snaidero, Oriana D’Angelo, Zoé Piguet, Viktor Szlovák, Anushka Tintor, Lars Reimann, Julia Berroth, Raphael Jenni, Victoria Engler, Tamara Knecht, Pascal Schleiss, Jessica Graf, Fiona Fischer, Rahel Köppel, Fiona Meier, Alicia Bänziger. Auf dem Bild krankheitshalber abwesend: Yasmine Huber. Bild: Lucia Gilli
Der Verein «Musicalprojekt Zürich 10» fand in den Quartieren Höngg und Wipkingen seinen Ursprung. 25 Projekte später ist er noch am selben Ort, die Mitglieder kommen jedoch von überall. Wir schauen in die Vergangenheit und fragen in der Gegenwart nach, was diesen Musicalverein ausmacht.

Rahel Köppel

1996 hat in Höngg und Wipkingen eine Geschichte begonnen, die anhält – der Verein «Musicalprojekt Zürich 10» wurde gegründet, und seit bald zwei Jahren bin auch ich ein Teil davon.

Für diesen Artikel habe ich mich auf die Suche gemacht nach den Ursprüngen des Vereins und wollte herausfinden, was ihn ausmacht. Die Informationen zur Geschichte habe ich von ehemaligen Mitgliedern: Vereinspräsidentin Nicole Meier, Designerin und Fotografin Lucia Gilli, Ehrenpräsident Walter Zweifel und Margo Westera.

Eine Freizeitbeschäftigung mit Ziel

Vor über 25 Jahren, genauer gesagt 1996, haben sich die reformierten Kirchen Höngg und Wipkingen, die evangelisch- methodistische Kirche Zürich und die katholische Kirche Heilig Geist dazu entschieden, etwas auf die Beine zu stellen, das Jugendlichen ausserhalb von der Cevi eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung gibt. Ein Musicalverein schien sich gut zu eignen  – man arbeitet gemeinsam auf ein Ziel hin und durch die Vereinsstruktur ist die Mitbestimmung der Teilnehmenden möglich und die finanzielle Unabhängigkeit gewährleistet. «Der Verein ist nicht sofort beim ersten Projekt entstanden», berichtet Margo Westera, die diese Anfänge miterlebt hat. «Die Teilnehmenden wollten jedoch nach dem ersten Musical wieder ein neues auf die Beine stellen, und so ist dann irgendwann der Verein entstanden.»

Mit einem anfangs noch nicht sehr grossen Budget, gehalten durch Spenden, Fixbeiträge der Institutionen, Mitglieder- und Gönnerbeiträge, führte die damals 15-köpfige Gruppe ihr erstes Musical auf: «Joseph and the Dreamcoat». Vorerst bestand der Cast vor allem aus jungen Leuten aus Firm- und Konfgruppen, durch die Auftritte schlossen sich dann aber immer mehr Jugendliche an.

«Ich denke, die Faszination für Musicals hatte auch damit zu tun, dass diese hierzulande damals noch nicht so verbreitet waren», vermutet Nicole Meier, die beim fünften Projekt zum ersten Mal dabei war. Abgesehen von dem Musical «Space Dream» kannte man diese Art von Kultur in der Schweiz noch nicht gross. Auch sei ein Musicalverein ideal, um verschiedene Talente abzudecken: Singen, Schauspielern und Tanzen. «Wobei anfangs die einzelnen Ressorts noch viel getrennter waren und man nicht unbedingt alles machte», fügt Lucia Gilli an.

Für diese einzelnen Ressorts braucht man natürlich auch eine geeignete Leitung. Es sei dem Verein immer ein Anliegen gewesen, Leitende zu finden, die wenn möglich eine professionelle Ausbildung in den einzelnen Ressorts haben. «Zuerst waren Kantoren und Diakone leitend», weiss Ehrenpräsident Walter Zweifel, von Anfang an im Verein tätig. «Danach fanden wir die Leitenden jeweils über Mund-zu-Mund-Werbung.»

Die Publikumszahlen sind in den Jahren immer weiter gestiegen. «Wie viele Leute jeweils kommen, ist stark stückabhängig», berichtet Walter. Auch die Mitgliederanzahl wurde grösser: Als es 28 Mitglieder waren, erkannte man, dass dies die Grenze ist.

Bild: zvg
2002 und 2022 - ausser der Bildqualität hat sich in den letzten Jahren gar nicht so viel geändert. Bild: Lucia Gilli

Vom Castmitglied zur Leitung

Heute hat der Verein um die 20 Mitglieder. Choreografin ist seit 2016 Joëlle Regli, die seit 2009 im Verein dabei ist und zuerst auf der Bühne stand. Die musikalische Leitung hat seit 2016 Viktor Szlovák. Nachdem Zoé Piguet drei Jahre lang mitgemacht hatte, hat sie 2019 die Regieassistenz übernommen und bildet nun gemeinsam mit Chris Meier das Regie-Leitungsteam.

Chris war bereits 2008 im Verein, als Darsteller auf der Bühne. Danach musste der 34-Jährige sein Hobby in den Hintergrund stellen, bis er dann 2015 wieder angefragt wurde, weil jemand kurzfristig ausgefallen war. Auch beim nächsten Projekt sprang er wieder ein und übernahm 2016 die Regieassistenz und 2018 die Regieleitung.

«2008 waren noch mehr Mitglieder aus der Umgebung», erinnert sich Chris. Der Winterthurer sei damals einer der wenigen gewesen, der nicht aus Zürich kommt. Mittlerweile wohnen einige der Mitglieder nicht in der Stadt Zürich, und nur wenige sind dort aufgewachsen. «Auch ist das Niveau seit 2008 deutlich gestiegen», fügt Chris an. Die Gemeinschaft sei schon dort sehr stark gewesen, wobei sich aber noch mehr kleine Grüppchen gebildet hätten.

In die Leitung ist Chris gegangen, weil er sich im Ressort Schauspiel schon immer am wohlsten gefühlt hat und er mal auf die andere Seite wechseln wollte. Ihm gefällt die Zusammenarbeit innerhalb der Leitung und die Freude der Mitglieder am Projekt. «Manchmal vermisse ich es aber schon, auf der Bühne zu stehen», gibt der 34-Jährige zu.

Die Komfortzone verlassen

Die Mitglieder selbst fühlen sich in diesem Verein sehr wohl. Viele haben einen Ausgleich gesucht und wollten ihrer Liebe zu Musicals in ihrer Freizeit einen Platz geben. Ich frage genauer nach, was sie am Verein schätzen.

Yasmine und Fiona F. sind nach Zürich gezogen und haben etwas gesucht, um neue Leute kennen zu lernen. «Zuerst habe ich nach Theater oder Tanzen gesucht, wurde aber nicht wirklich fündig. Dann bin ich auf diesen Verein gestossen, wo ich beides machen kann», erzählt Yasmine. Andere sind durch ihre Freunde zum Verein gekommen, wie zum Beispiel Oriana durch Yasmine oder Alice durch mich.

Alex ist erst seit diesem Jahr mit dabei, sieht aber jetzt schon, wie der Verein sein Leben positiv beeinflusst. «Ich bin selbstbewusster, kenne meine Stärken und habe gelernt, meine Komfortzone zu verlassen.» Auch Fiona F. hat der Verein in Alltagssituationen geholfen. «Ich bin zum Beispiel während Vorträgen viel mutiger und selbstbewusster geworden.»

Yasmine, die ihre Stärke im Tanzen gefunden hat, musste sich zuerst an die Bühne gewöhnen. «Ich habe aber  irgendwann gemerkt, dass das Publikum nicht Feind, sondern Freund ist.» Sie geniesst den Austausch und die Gemeinschaft. «Man plaudert jede Woche über dieses und jenes und fühlt sich aufgenommen. Alle haben ein offenes Ohr, wenn es ­einem mal nicht so gut geht.» Dies ist ein Punkt, den die meisten Castmitglieder sehr schätzen.

Für Alice, die dieses Jahr ebenfalls neu dazugestossen ist, ist es manchmal noch etwas schwierig, ihre Komfortzone zu verlassen. «Die Leute sind aber sehr offen und die Proben machen grossen Spass.» Etwas schade findet sie, dass sie als Nebenrolle nicht sehr viel zum Schauspielern kommt und sich dort nicht gross verbessern kann. «Ich habe aber gemerkt, dass ich im Tanzen vielleicht gar nicht so schlecht bin, wie ich gemeint habe.»

Auch ich schätze den Zusammenhalt in dieser kleinen Familie sehr. Man fühlt sich wahrgenommen und muss sich nicht verstellen. Mir wurde durch den Verein noch bewusster, wo meine Stärken und Schwächen liegen, aber auch, dass viele Dinge eine Kopfsache sind und man mit der falschen Einstellung nicht viel erreichen kann. Das umzusetzen, ist oft schwierig, aber die Menschen hier stehen einem immer zur Seite.

Yasmine Huber: "Ich habe gelernt, dass das Publikum mein Freund ist." Bild: Lucia Gilli
Rahel Köppel