Yggdrasil – das ist der Lebensbaum der nordischen Mythologie, aus welcher der Saxofonist Simon Spiess viel Inspiration zieht. Und es ist diese erhabene Esche, die bei der Namensgebung der Band Pate stand. Yggdrasil verkörpert die Schöpfung als Ganzes und zwar räumlich, zeitlich und inhaltlich und markiert – so der Mythos – das Zentrum der Welt. Die Metapher des Baumes bildet das Zusammenspiel und das Gedeihen des musikalischen Handwerks von Quiet Tree treffend ab. Und dabei steht jedes Bandmitglied stellvertretend für einen Teil des Baumes.
Das präparierte Klavier
Ständig auf der Suche nach neuen Sounds bringt es Marc Méan schon mal fertig, das Piano mit Papierblättern zu präparieren. Als Sounddesigner und Synthesizer verfügt er über eine unbändige Kreativität. Sein Sound klingt erdig, vertrauenserweckend und eingängig. In der basslosen Band sorgt er für Harmonie. Wurzeln, Erde und Baumstamm – diese Passagen sind Marc Méan zuzuschreiben. Jonas Ruther zählt zu den wertvollsten Drummern in der Schweiz. Seine Spielart kommt vital daher. Er agiert entscheidungsfreudig und klar, wodurch seine unverwechselbare rhythmische Handschrift entsteht. In seinem Flow würde man ihn unter hunderten Schlagzeugern erkennen. Er fällt grossartige musikalische Entscheidungen. Sehr flüssig in all seinem Tun hinter dem Schlagzeug wirkt er wie Wurzel und Krone zugleich.
Säfte zwischen Krone und Wurzeln
Simon Spiess bewegt sich zwischen Méan und Ruther und sorgt dafür, dass die musikalischen Säfte zwischen Krone, Stamm und Wurzeln transportiert werden. Sein Sound ist sinnstiftend und nährend. Simon Spiess lernte das Saxofon als Primarschüler bei einer Instrumentenvorstellung kennen. Ihm habe der Sound gefallen – und dass es so schön golden war. Daraufhin nahm er Saxofonunterricht, aber eigentlich interessierten ihn der Sport und seine Freunde viel mehr. Bis zu jenem Tag, als er sich der CD-Sammlung seines Vaters annahm, der in den 1970er-Jahren in der Schweiz als Wander-DJ unterwegs gewesen war. Es glich einer Initialzündung, als er das Tenorsaxofon im Sound von Funk und Groove kennen lernte. Eineinhalb Jahre später begann er an der Musikhochschule in Basel Musikpädagogik zu studieren, wo er auf Ruther und Méan traf.
«Uns verbindet sowohl das Früher als auch das Heute – all das, was wir im gesamten Werdegang verfolgt haben. Wir sind Musiker einer gemeinsamen Band, aber vor allem Freunde. Das gibt uns viel Intuition beim Spielen, was sehr kostbar und nicht selbstverständlich ist.» Dementsprechend versteht sich Quiet Tree als Kollektiv. Es gibt nicht den einen Leader. Jeder komponiert, jeder probiert und arrangiert.
Und warum ist der Baum betont quiet?
In der Ruhe liegt die Kraft. Die Handschrift von Quiet Tree ist eher sanft, aber auch temperamentvoll, doch die Gegenwärtigkeit und die Präsenz in jedem Moment ist eine fixe Konstante. Der Sound nimmt niemals Reissaus oder wird willkürlich und ekstatisch. Das Trio agiert konzentriert und weiss in jedem Moment, was es tut und lässt.
Bald mal nach Indien
Aktuell hat die Band gerade ein neues Album produziert, in enger Zusammenarbeit mit Dan Nicholls, einem Pianisten aus London. Seine Art zu spielen und zu hören ist derjenigen von Quiet Tree sehr nahe. Oder anders gesagt, er ist ein Baum derselben Gattung. «Wir haben ihm die Aufnahmen geschickt und gesagt: «Mach damit, was du möchtest.» Er hat ein Remix fabriziert, geschnitten, gesampelt und regesampelt, und was herauskam, ist wunderbar», freut sich Spiess.
Die Release Tour soll Anfang nächsten Jahres stattfinden und führt die Truppe unter anderem nach Indien.