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Zürich West
24.03.2023
06.09.2023 16:46 Uhr

Sie verwandeln Dusch- und Badekabinen in eine Ausstellung

Kein typischer Ort für eine Ausstellung: Die Dusch- und Badekabinen wurden mit Kunst gefüllt.
Kein typischer Ort für eine Ausstellung: Die Dusch- und Badekabinen wurden mit Kunst gefüllt. Bild: Jeannette Gerber
Von einer Industrieanlage zum Ort für Begegnung und Kultur: Ein Zürcher Frauenkollektiv hat es sich zur Aufgabe gemacht, die früheren Waschräume in den ehemaligen SBB-Werkstätten an der Hohlstrasse mit Kunst zu füllen. 40 überraschende Arbeiten sind in der Ausstellung zu sehen.

Jeannette Gerber

An der Hohlstrasse in Altstetten liegen die früheren SBB-Werkstätten, eines der letzten städtischen Entwicklungsgebiete. Seit 2018 wird das 42 000 Quadratmeter grosse, denkmalgeschützte Areal unter dem Namen «Werkstadt Zürich» transformiert. Geplant ist ein Mix aus gewerblichen und industriellen Betrieben, Start-ups und Räumen für Kultur.

Die meisten Räume in den Backsteinbauten lassen sich problemlos umnutzen, doch die ehemaligen Waschräume der Arbeiterinnen und Arbeiter gehören nicht dazu. Die gekachelten Bade- und Duschkabinen stehen unter Denkmalschutz und müssen in dieser Form bestehen bleiben.

Fast 100 Bewerbungen eingegangen

Ein Frauenkollektiv, bestehend aus vier Künstlerinnen, hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Räume mit Kunst zu füllen. Nadine Jäger, Pia Simmendinger, Alicia Olmos Ochoa und Andrea Ramseyer organisierten eine Ausstellung mit dem Thema «Loslassen – loswerden». Die vier Kuratorinnen wählten 40 aus fast 100 Bewerbungen aus. Die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler kommen aus der Schweiz, Deutschland, China, der Ukraine, Österreich, Dänemark, Russland, Italien, Israel, Griechenland und Spanien.

Diese Kunstschaffenden haben alle auf ihre Weise auf den speziellen Ort reagiert und sich durch Malerei, Skulptur, Installation, Performance, Video, Audio, Literatur und Fotografie dem Thema angenähert. Sie stellten sich die Frage: Wie war es damals, nach der schweren Arbeit, verdreckt und erschöpft, endlich das warme Wasser auf der Haut zu spüren, den ganzen Schmutz abzuwaschen und sich langsam zu entspannen?

  • Zwei der vier Kuratorinnen (v. l.): Nadine Jäger und Andrea Ramseyer. Bild: Jeannette Gerber
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  • Nathalie Diserens wohnt und arbeitet in Zürich. Bild: Jeannette Gerber
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  • Peter Egli ist Performancekünstler. Bild: Jeannette Gerber
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  • Noah Joel Huber mag Farbkontraste. Bild: Jeannette Gerber
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Vier Kunstschaffende stellen sich vor

Das Resultat dieser sinnlichen Auseinandersetzungen war im März an der Vernissage zu bewundern. Nadine Jäger hat für diese Zeitung repräsentativ vier Werke von zwei Künstlerinnen und zwei Künstlern ausgesucht. Sie selbst als Kulturwissenschaftlerin interessiert die Wiedererweckung städtischer Räume mit künstlerischen Interventionen.

«Ich liebe es sehr, zuerst einen Raum auf mich einwirken zu lassen, um daraus etwas zu kreieren.»
Nathalie Diserens

Nathalie Diserens studierte Kunst­ethnologie, Publizistik und Arabisch. Sie zeigt in einem Waschraum das Projekt «Wall Scar». Der Raum widerspiegelt für sie den Organismus, den Körper. Die Wände sieht sie als dessen umhüllende Haut. In diesem Raum wurde sie von einer Bruchstelle im Gemäuer inspiriert. Sie nennt das eine Wandnarbe mit schmerzlichen Erinnerungen. Hier war einst etwas passiert. Diese Narbe hat sie mit einem in Gips getränkten Frotteetuch überdeckt. Die dem Raum angepasste Farbe erreichte sie mit einer Ei-Tempera mit Pigment-­Abstufungen. «Ich liebe es sehr, zuerst einen Raum auf mich einwirken zu lassen, um daraus etwas zu kreieren», erklärt sie.

«Die Schönheit der Bewegung erziele ich durch silberne Lamettafäden.»
Peter Egli

Peter Egli, Grafiker und Werber, nennt sein Projekt «Das Ritual, Video-Installation» – eine Performance einer sich wiederholenden Reinigungshandlung in ­Erinnerung an jene, die sich unzählige Male den Staub vom Leib wuschen. Ohne Wasser kein Leben – sein Thema für den Waschraum. In seinem Badezimmer beamt Egli verschiedene Aktionen ins Wasser der Wanne. «Die Schönheit der Bewegung erziele ich durch silberne Lamettafäden», so Egli. «Einen Blick ins Universum gewähre ich durch Lichtreflexionen im Dunkeln. Dann schreibe ich negative Gedanken auf den Boden der Wanne, um sie gleich wieder wegzuputzen.» Danach beamt er sich selbst mit Anzug bekleidet ins warme Wasser, um zu zeigen, wie schön es ist, nach einem hektischen Alltag heimzukehren, quasi in Mutters Schoss. Die letzte Sequenz zeigt ihn fast unbekleidet im Wasser, wie er sich nach und nach völlig weiss bemalt. Ein Prozess zur Transzendenz: «Sich auflösen und eins werden mit Wasser und Licht» ist sein Credo.

«Blau ist auch meine persönliche Lieblingsfarbe.»
Donia Jornod

Donia Jornod, Architektin und im Digitalzeitalter geboren, arbeitet mit digitalen und physischen Medien. Ihr ist das sogenannte «Interbeing» wichtig. Dabei geht es darum, achtsam mit der Welt in Beziehung zu leben. In Jornods Waschraum dominiert ein intensives Blau. «Blau ist auch meine persönliche Lieblingsfarbe», betont sie. Eine Skulptur aus blau gefärbtem Gips, umhüllt von ­Siliconstreifen, füllt die Wanne. Im Hintergrund ist eine Stimme zu hören, die Phrasen aus Arbeitsverträgen von Betrieben zitiert, die ihren Mitarbeitenden versprechen, alles zu tun für ihre persönliche Gesundheit, um jede Art von Burn-out oder gesundheitlichen Defiziten zu vermeiden. So sollen sie sich während der Arbeit stretchen und zwischendurch ausruhen. Doch eigentlich dient diese vor­geschobene Fürsorge nicht den Betroffenen, sondern lediglich zur Optimierung der Produktion. «Für mich tönt das nach reiner Science-Fiction», erklärt Jornod.

«Der Simultankontrast – die Wechselwirkung der Beleuchtung zwischen Rot und Grün – war mir wichtig. Überhaupt liebe ich Kontraste.»
Noah Joel Huber

Noah Joel Huber spielt gerne mit der Fantasie des Publikums. In seiner Kabine ist die Wanne mit Federn gefüllt. Am Boden sind Gegenstände arrangiert, die Aufschluss über die Person, die das Bad benützte, geben sollen: Eine Perlenkette, ein Telefon, ein halb volles Cognacglas und ein Zigarrencutter. Das Ganze ist in rotes und grünes Licht getaucht, untermalt mit der leisen Musik «Carla» von Element of Crime. Der Raum ist vom betörenden, aromatisch-ledrigen Duft von Chanels Parfüm Antaeus erfüllt. Noah Joel Huber äussert sich nicht über seine Rauminstallation, er überlässt es den Betrachtenden herauszufinden, was hier stattfand.

«Der Simultankontrast – die Wechselwirkung der Beleuchtung zwischen Rot und Grün – war mir wichtig. Überhaupt liebe ich Kontraste», ist sein Statement. Das drückt er auch mit seiner unkonventionellen Kleidung aus: ein langer, schwarz-weiss gestreifter Rock, eine Art Smokingjacke und ein schwarzer Hut.

Um sich ein eigenes Bild von den Werken zu machen, bietet die Ausstellung «Waschraum» nochmals Gelegenheit am kommenden Wochenende sowie am 31. März, 1. April und 2. April. Alle Informationen unter: www.wasch-raum.ch

Jeannette Gerber