Den einen gefällt die Neugestaltung der Nordbrücke, weil sie den Individualverkehr spürbar bremst. Die anderen finden, der Autoverkehr werde unnötig drangsaliert. Eine weitere Fraktion in Wipkingen stört sich daran, dass die Situation vor allem für Fussgängerinnen und Fussgänger weniger klar geworden ist und im Besonderen für Kinder. Tatsächlich braucht es eine gehörige Portion Mut, irgendwo auf die Strasse zu treten und auf dem Vortrittsrecht zu bestehen. Gerade in der Dämmerung ist das noch heikler, weil die Strassenbeleuchtung auf der Nordbrücke sehr zurückhaltend ist.
Stadt will Kritik aufnehmen
Die Quartierbevölkerung wurde gestern Dienstagabend an einer Veranstaltung über die Ergebnisse der Testphase und das weitere Vorgehen informiert. Die Rückmeldungen aus dieser Informationsveranstaltung werden nun ausgewertet und in die weitere Planung einbezogen, wie es von der Stadt heisst.
Um Erkenntnisse für die Neugestaltung der Nordbrücke ab 2026 zu gewinnen, errichtete die Stadt Zürich dort im Sommer 2021 temporär einen Mehrzweckstreifen. Dieser erlaubt es Fussgängerinnen und Fussgängern, die Strasse an jeder beliebigen Stelle zu queren. Dadurch sollte das Quartierzentrum Nordbrücke aufgewertet werden. Auch die Sicherheit der Verkehrs-Teilnehmenden sollte sich erhöhen. Die herkömmlichen Fussgängerstreifen wurden entfernt, die Fussgängerschutzinseln teilweise belassen und verbreitert. Die Testphase dauerte bis im Frühjahr 2023.
Verkehr rollt langsamer
Die in der Testphase durchgeführten Verkehrserhebungen zeigen laut der Stadt: Die Fussgängerinnen und Velofahrer profitieren – nach einer Angewöhnungszeit – vom langsamer fliessenden Verkehr. Dass Autos die an der Haltestelle «Bahnhof Wipkingen» stehenden Busse nicht mehr überholen können, erhöht die Sicherheit für Fussgänger zusätzlich, ist die Stadt überzeugt. Der motorisierte Individualverkehr rollt im Durchschnitt langsamer und die Verkehrsteilnehmer nehmen stärker Rücksicht aufeinander.
VBZ nicht sehr glücklich
Fussgänge haben die Nordstrasse auch ausserhalb der Fussgängerschutzinseln gequert, wen wundert das? Dies zeigten auch Beobachtungen vor Ort. Velofahrer können den Mehrzweckstreifen als Aufstellfläche nutzen und so die Nordstrasse einfacher queren sowie - laut der Stadt - leichter in Richtung Röschibachplatz abbiegen. In der Praxis ist dies jedoch Wunschdenken. Ohne Velozeichen am Boden bleibt der Ort für Velos gefährlich. Auf den ÖV hat der Mehrzweckstreifen laut der Stadt nur geringe Auswirkungen. Im Auswertungsbericht steht jedoch, dass die VBZ unglücklich darüber sind, dass sich die Busse nun nicht mehr überholen können an den Haltestellen.
Nur 30 Personen wurden von der Stadt befragt
Im Rahmen einer nicht repräsentativen Umfrage im Sommer 2022 beurteilten gut die Hälfte der 30 Befragten das Funktionieren des Mehrzweckstreifens als gut oder sehr gut, 20 Prozent als genügend. 80 Prozent der Befragten haben angegeben, sie würden es begrüssen, sollte der Mehrzweckstreifen dauerhaft eingeführt werden.
Umfrage des Quartiervereins kommt zu anderem Ergebnis
Bei der Umfrage des Quartiervereins Wipkingen mit 176 Teilnehmenden waren 65 Prozent der Befragten der Meinung, dass die jetzige Situation ohne Fussgängerstreifen für Fussgänger gefährlich sei, vor allem für die Kinder. «Man hat ohne Not den Fussgängern das Vortrittsrecht genommen», schreibt der Quartierverein auf seiner Homepage. Besser wäre es gewesen, man hätte eine Begegnungszone gestaltet, dann wäre klar gewesen, dass der Vortritt bei den schwächsten Verkehrsteilnehmern liegt. Der Quartierverein fordert deshalb, dass drei Fussgängerstreifen wieder als provisorische Fussgängerstreifen eingezeichnet werden.
Roger Muntwyler vom Tiefbauamt hält dem Folgendes entgegen: «Unsere Erhebungen haben gezeigt, dass auch Kinder das Prinzip des Mehrzweckstreifens gut verstehen und diesen sicher benutzen. Für die allermeisten Schulkinder ist die Querung der Strasse mit Mehrzweckstreifen problemlos zu bewältigen.» Auch sie würden profitieren von der nicht mehr überholbaren Bushaltestelle «Bahnhof Wipkingen». «Wichtig bleibt die Schulung im Rahmen des jährlichen Verkehrsunterrichts, der in der ersten Klasse und im Kindergarten durch die Stadtpolizei Zürich durchgeführt wird.» Schülerinnen und Kindergärtner müssten den Mehrzweckstreifen aber nicht benutzen, sondern könnten auch über den provisorischen Fussgängerstreifen auf Höhe Zeunersteig gehen. Reklamationen von Schulen seien bei ihnen keine eingegangen.Sie würden in ständigem Austausch mit der Schulinstruktion der Stadtpolizei Zürich stehen.
Baustart im 2026
Das Monitoring zeigt aus städtischer Sicht, dass der Mehrzweckstreifen funktioniere und sich die Verkehrsteilnehmenden daran gewöhnt haben. Daher wurde entschieden: Der Mehrzweckstreifen bleibt bestehen. Die Erkenntnisse der Testphase werden in das Bauprojekt einfliessen. Gemäss Paragraf 13 Strassengesetz wird das Projekt voraussichtlich im Herbst 2023 aufgelegt. Geplanter Baustart ist 2026.