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Züriberg
01.05.2023
28.04.2023 15:49 Uhr

Hier wird ein Kindertraum wahr

Drei Tage lang übernehmen die Schülerinnen und Schüler die Kantonsschule Unterstrass. Dazu gehören neben Schuleleiten und Mittagessenkochen auch das Unterrichten von Schulklassen, was für beide Seiten speziell ist.
Drei Tage lang übernehmen die Schülerinnen und Schüler die Kantonsschule Unterstrass. Dazu gehören neben Schuleleiten und Mittagessenkochen auch das Unterrichten von Schulklassen, was für beide Seiten speziell ist. Bild: Rahel Köppel
Einmal alle vier Jahre läuft am privaten Gymnasium Unterstrass eine sogenannte Schülerschule ab. Die Schule wird unter der Leitung der Schülerinnen und Schüler für drei Tage weitergeführt. Wie die Tage verliefen, erzählen die beteiligten Jugendlichen im Gespräch.

Monika Abdel Meseh und Rahel Köppel

Es ist ein ruhiger Donnerstagnachmittag im Gymnasium, ein paar Schülerinnen und Schüler geniessen noch einen kleinen Snack oder unterhalten sich in der Mensa. Weit und breit sind keine Lehrpersonen zu sehen, auch kein Hausdienst oder sonstige Erwachsene. Die Jugendlichen sind hier komplett auf sich allein gestellt. Was nach einem Kindertraum klingt, ist eine jahrelange Tradition am Gymnasium Unterstrass. «Schülerschule» nennt sich das Projekt, das hier für drei Tage durchgeführt wird. Vom Mittwoch bis zum Freitag sind die Schulleitung und alle Lehrpersonen auswärts an einer Weiterbildung. Das Ziel: Die Schülerinnen und Schüler sollen so tun, als wäre nichts. Der Unterricht geht normal weiter, das Sekretariat läuft, die Küche kocht, die Schulleitungsstühle sind besetzt.

Dreierteam für die Schulleitung

Im Direktorinnenzimmer sitzt die gerade mal 18-jährige Lina Kormann. Sie ist für diese drei Tage die Direktorin des Gymnasiums. Eben war sie noch Schülerin der vierten Klasse und nun sitzt sie im grossen Büro und übernimmt die Verantwortung der Leitung. «Gott sei Dank muss ich das nicht alleine machen, das wäre echt zu viel für eine Person», erzählt die junge Schülerin mit einem erleichterten Blick zu ihren Kollegen. Neben ihr sitzen nämlich Jasmin Winkler, Leiterin der zentralen Dienste, und Pajazit Ganija als Leiter des Gymnasiums, die ihr dabei nur zustimmen können. «Man merkt schon, was die Schulleitung für eine Menge an Arbeit hat. Man hat sie immer nur durch das Gebäude wandern sehen und fragte sich, was sie eigentlich den ganzen Tag so tun», sagt der 19-jährige Schulleiter auf Zeit schmunzelnd. Aber einen Bonus hat es auf jeden Fall. «Wir haben alle Schlüssel und kommen damit in jeden Raum, was gleichzeitig cool, aber auch beängstigend ist, weil man Angst hat, die Schlüssel zu verlieren», so die Drittklässlerin Jasmin Winkler.

Man merkt schnell, dass die drei ihre Aufgabe sehr ernst nehmen und zeigen wollen, dass sie dem entgegengebrachten Vertrauen gewachsen sind. Für sie ist es sicherlich eine bleibende Erfahrung, an die sie sich noch Jahre später erinnern werden.

Bisher haben die drei keine grösseren Schwierigkeiten erlebt in ihrer Zeit als Schulleitung. «Einmal war eine Lehrperson krank, und wir mussten möglichst schnell einen Ersatz finden», erzählt Jasmin. Deshalb seien sie auch dankbar, wenn Absenzen frühzeitig gemeldet werden. Ein anderes Problem war, dass das Küchenteam einmal zu viel gekocht hatte. «Wir konnten dann aber einen Grossteil des Essens weiterverwerten.» Ein Teil davon ging auch an die Gesamtschule Unterstrass. Und wie läuft es sonst so? «Überraschend gut», so die Gruppe.

«Die Leute sind motiviert und rücksichtsvoll und zeigen Respekt vor den Lehrpersonen», so Pajazit. Es sei auch eine schöne Abwechslung. «Wir singen in unserer Schule jeden Morgen alle zusammen ein Lied. Meistens sind es traditionellere Lieder, wir haben aber zum Beispiel gestern ‹I Want It That Way› von den Backstreet Boys gesungen», sagt Lina lächelnd. «Das hat, glaube ich, allen sehr viel Spass gemacht.» Wollte man in der Schülerschule eine «Rolle» übernehmen, beispielsweise als Lehrperson, aber auch als Koch oder Schulleiterin, konnte man sich in einer Liste einschreiben. Anschliessend haben die jeweiligen Zuständigen entschieden, welche Schülerinnen oder Schüler sie als geeignet empfinden. Bei den Lehrpersonen waren es hauptsächlich Dritt- und Viertklässler, die die Rolle übernommen haben, da sie ein grösseres Wissen und mehr Erfahrung haben. «Wir haben aber auch schon jüngere Lehrpersonen erlebt, die ältere Schülerinnen und Schüler unterrichtet haben, was auch funktioniert hat», so Jasmin.

Aufgabe mit viel Verantwortung

Bei der Entscheidung für die Aufgabe der Schulleitung haben bei dem Dreierteam unterschiedliche Faktoren eine Rolle gespielt. Jasmin ist Mitglied in der Schülerorganisation der Schule und mag es demnach sehr, Dinge zu organisieren. «Ausserdem wollte ich mal herausfinden, wie es auf der anderen Seite so ist», sagt die Schülerin schmunzelnd. Pajazat hingegen hatte Lust auf eine neue Herausforderung. «Ich habe die Schule, ehrlich gesagt, immer ziemlich leicht genommen», gibt er zu. «Ich habe mir gedacht, das wäre doch jetzt die perfekte Chance, um etwas mal so richtig ernst zu nehmen und Verantwortung zu übernehmen.» Und das macht er anscheinend gar nicht so schlecht. «Er hat so eine natürliche Autorität», meint Lina mit einem Seitenblick zu ihrem Kollegen. Sie wollte einfach dabei sein und bei der Schülerschule irgendeine Rolle übernehmen. «Und dann wurde es tatsächlich die Rolle der Direktorin», sagt sie, scheinbar selbst noch etwas ungläubig.

Bei Einzelgesprächen mit den «richtigen» Lehrpersonen oder auch anderen Fachkräften wurde den Schülern gesagt, worauf sie achten müssen. Bei einer gemeinsamen Sitzung kurz vor Beginn der Schülerschule wurden noch letzte Dinge besprochen. «Für den Notfall haben wir die Nummern der Leitungspersonen bekommen», so Lina. Bisher sei das aber zum Glück nicht nötig gewesen. «Eine kaputte Kaffeemaschine war bis jetzt der grösste Notfall», grinsen die drei. Von 7.30  Uhr bis um 17 Uhr muss immer jemand vom Leitungsteam anwesend sein. Die drei wechseln sich da ab. «Es ist schon anstrengend und man muss sich die Pausen richtig einplanen, weil es eigentlich immer etwas zu tun gibt», berichtet Pajazat. Die Gruppe hat durch diese Aufgabe definitiv erkannt, was zum Beruf der Schulleitung dazugehört.

Schule mal anders kennen lernen

Die Gründe, warum sich die Schülerinnen und Schüler für die Lehrerrolle entschieden haben, fallen sehr unterschiedlich aus. So übernimmt Alexia den Französischunterricht der 3B, ihrer eigenen Klasse. Dadurch, dass sie eine der besten der Klasse ist, war das keine schwere Entscheidung. «Es stärkt den Zusammenhalt in der Klasse und man kann die anderen auch besser kennen lernen», sagt die junge provisorische Lehrerin. Auch ihre Mitschüler stimmen ihr zu. «Vom Niveau her ist es natürlich nicht dasselbe, aber man lernt sehr viel, weil es einfach eine lockerere Stimmung ist», schildern die Schülerinnen, die im Gang auf den Unterrichtsbeginn warten.

Für diejenigen, die nicht unterrichten wollten, hat es auch andere Rollen gegeben. «Ich wusste, dass ich keine Lehrerin sein will, aber ich wollte trotzdem einen Job übernehmen», erklärt die Köchin Constantine. Auch der Hausmeisterin Annika ging es so ähnlich. «Ich konnte jetzt das Schulhaus von einer anderen Seite kennen lernen, als nur in der Klasse zu sitzen.» Beide Schülerinnen können sich aber nicht vorstellen, diese Berufe mal in Zukunft auszuüben. «Es ist zwar eine coole Erfahrung, aber doch anstrengend», erklärt die temporäre Köchin.

Dass eine Schule nur von Jugendlichen geführt werden kann, ohne dass das Chaos ausbricht, ist also möglich. Trotzdem freuen sich die Schülerinnen und Schüler, wenn sie bald wieder zum ­regulären Schulalltag zurückgehen. «Ich werde mich am Wochenende nicht bewegen, nur herumliegen und eine Serie schauen und mir keine Gedanken mehr machen», sagt der Schulleiter Pajazit erleichtert. Auch die anderen freuen sich, wenn sie bald wieder nur Schülerinnen sein dürfen. Die Schülerschule findet dann erst wieder 2027 statt mit ganz anderen Schülerinnen und Schülern in der Rolle der Lehrpersonen.

Die Schulleitung wird von Lina, Pajazit und Jasmin geführt. Bild: Rahel Köppel
Monika Abdel Meseh und Rahel Köppel