Cornelia Caviglia organisiert seit letztem Herbst den Frauenstamm in Wiedikon. Die Abstimmung über die AHV-Reform rüttelte die 46-Jährige auf, als sich abzeichnete, dass Männer darüber entscheiden, das Rentenalter der Frauen zu erhöhen. «Viele Frauen konnten nicht mobilisiert werden. Das darf nicht mehr geschehen.»
Caviglia ist Physiotherapeutin, arbeitet im operativen Stab in der medizinischen Grundversorgung. Sie ist alleinerziehend, treibt intensiv Rudersport und engagiert sich in einem kulturellen Projekt. Ihr leuchtet ein, dass Frauen viel um die Ohren haben und der Urne fernbleiben. Kommt dazu, dass die Vorlagen oft kompliziert sind. Sie selbst entschied sich gegen einen Parteieintritt und eine Kandidatur. Trotzdem ist sie politisch interessiert. Insbesondere der überparteiliche Austausch zwischen Frauen ist ihr ein Anliegen.
Eine Nachbarin erzählte Caviglia vom Wiediker Frauenstamm, der von 1973 bis in die 1990er-Jahre stattfand. Ihr gefiel die Idee, dass frau nach einem Austausch über die Vorlagen kompetent abstimmen und sich politisch vernetzen könne. Susanne Hohermuth rief den Anlass 1973 ins Leben, auch damals mit dem Ziel, dass sich Frauen politisch austauschen können, ohne einer Partei beitreten zu müssen.
Vorlagen ausgewogen erklären
Hohermuth trat 1971 nach der Einführung des nationalen Frauenstimmrechts dem Landesring der Unabhängigen (LdU) bei, der Partei von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler. Ihre Kinder waren damals drei und sechs Jahre alt. Als beide zur Schule gingen, begann die Primarlehrerin an der Universität Zürich unter anderem Soziologie zu studieren und doktorierte mit 50 Jahren. LdU-Politikerin Monika Weber, die zur gleichen Zeit an der Uni war, regte sie an, in ihrem Wohnquartier einen Frauenstamm auf die Beine zu stellen.
Nun findet der neue Frauenstamm zum vierten Mal im «roten Raum» statt. Im Wechsel werden linke und bürgerliche Politikerinnen eingeladen, die Vorlagen ausgewogen zu erklären. Bei Hohermuths Frauenstamm, der jeweils im «Falken» stattfand, galt dasselbe Konzept.
Hohermuth wurde 1983 für den LdU in den Kantonsrat gewählt und verlor ihren Sitz 1991 wieder beim allgemeinen Niedergang des LdU, der sich 1999 auflöste. Die 81-Jährige freute sich, als die 35 Jahre jüngere Caviglia Kontakt mit ihr aufnahm und von ihren Plänen erzählte, den Frauenstamm zu aktivieren. «Es fühlt sich gut an, wenn die eigenen Gedanken wiederbelebt werden.»