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Stadt Zürich
20.10.2023
20.10.2023 11:22 Uhr

Vom Kampf einer Zürcher Juristin um ihr Recht, als Anwältin zu praktizieren

Sie war die erste Juristin in Europa, die 1887 an der Universität Zürich promovierte, und gilt bis heute als eine Pionierin für Gleichberechtigung: die Zürcherin Emilie Kempin-Spyri.
Sie war die erste Juristin in Europa, die 1887 an der Universität Zürich promovierte, und gilt bis heute als eine Pionierin für Gleichberechtigung: die Zürcherin Emilie Kempin-Spyri. Bild: UZH Archiv
ZEITREISE – Vor 100 Jahren wurde in der Schweiz ein wegweisender Entscheid gefällt, der es Frauen ermöglichte, als Anwältinnen zu praktizieren. Anstoss dazu gab Europas erste Juristin, die Zürcherin Emilie Kempin-Spyri, die sich zeitlebens unermüdlich für die Rechte von Frauen einsetzte.

Dominique Rais

Gegenwärtig gibt es in der Schweiz über 11 000 praktizierende Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen. Über 3500 davon allein im Kanton Zürich, wobei die Mehrheit in der Stadt Zürich tätig ist. Auch wenn Frauen derweil längst Einzug in die Gerichtssäle gehalten haben, so wird der Berufsstand noch immer von Männern dominiert.

Gemäss Statistik des Schweizerischen Anwaltsverbands beläuft sich die Zahl der Anwältinnen, die im Kanton Zürich tätig sind, auf rund 1200, während es bei den Männern gut 2300 sind. Damit spiegelt der Kanton Zürich das schweizweite Verhältnis von einem Drittel Frauen und zwei Dritteln Männer wider, die im Anwaltsberuf tätig sind. Dass Frauen überhaupt als Anwältinnen praktizieren dürfen, war aber längst nicht immer so.

Als die Stadtzürcher Pfarrerstochter und dreifache Mutter Emilie Kempin-­Spyri (†48, 1853–1901) sich 1885, mit über 30 Jahren, entschied, ihre Matura nach­zuholen, um anschliessend Rechts­wissenschaften an der Universität Zürich zu studieren, stiess sie selbst im Kreise ihrer Familie auf Gegenwehr.

Von der Frau ohne Anwaltspatent

Schliesslich schreibt sich Kempin-­Spyri allen Widerständen zum Trotz dennoch als erste Schweizerin an der Juristischen Fakultät der Universität Zürich ein. Und promoviert bereits im Jahr 1887 als erste Juristin Europas.

Trotz ihres Erfolgs bleibt ihr aufgrund ihres Geschlechts das Anwaltspatent jedoch verwehrt. Denn damals, wie zu jener Zeit üblich, war die Ausübung des Anwaltsberufs an das Aktiv­bürgerrecht gebunden. Dieses wiederum war jedoch zu jener Zeit Männern vorbehalten. Da Kempin-Spyri aufgrund dessen eine Anstellung als Privatdozentin an der Universität Zürich verwehrt wurde, wanderte sie im August 1888, vor nunmehr 135 Jahren, zusammen mit ihrem Mann Walter Kempin, dem einstigen Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirch­gemeinde von Zürich-Enge, und ihren drei Kindern nach New York aus.

  • Vom unermüdlichen Kampf um ihr Recht, als Rechtsanwältin zu prakti­zieren, gezeichnet, erleidet Kempin-Spyri 1897 einen Nervenzusammenbruch und wird im September des gleichen Jahres wegen Geisteskrankheit in die Berliner Heil- und Pflegeanstalt «Berolinum» eingewiesen. Bild: Fotograf unbekannt
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  • Sie war die erste Juristin in Europa, die 1887 an der Universität Zürich promovierte, und gilt bis heute als eine Pionierin für Gleichberechtigung: die Zürcherin Emilie Kempin-Spyri. Bild: UZH Archiv
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Dort gründet die Nichte der bekannten «Heidi»-Autorin Johanna Spyri (†74, 1827–1901) im Jahr 1889 die «Emily Kempin Law School», eine private Rechtsschule für Frauen. Darüber hinaus arbeitet sie unter anderem als Dozentin für Gerichtsmedizin am New York Medical College & Hospital for Women. 1890 bekommt sie schliesslich eine An­stellung an der Juristischen Fakultät der Universität der Stadt New York, wo bis heute ein Lehrstuhl nach ihr benannt ist.

Vom Hörsaal in die Heilanstalt

Nachdem ihr Mann mit dem gemein­samen Sohn und der ältesten Tochter bereits zuvor in die Schweiz zurück­gereist war, kehrt auch Kempin-­Spyri zusammen mit der jüngsten Tochter im Frühjahr 1891 nach Zürich zurück. In den darauf­folgenden Jahren betreibt das Ehepaar dort ein «Schweizerisch-amerikanisches Anwaltsbüro». Darüber hinaus gründet Kempin-Spyri im November 1893 in Zürich dann den «Frauenrechtsschutzverein». Ihr Ziel: die recht­liche, wirtschaftliche wie auch soziale Stellung der Frauen durch ihre juristische Arbeit in der Schweizer Gesellschaft zu verbessern.

Nach langjährigen Spannungen geht die Beziehung des Ehepaars schliesslich in die Brüche. Von ihrem Mann getrennt, geht Kempin-Spyri 1895 nach Berlin, wo sie ab 1896 an der Humboldt-Akademie als Dozentin für Privatrecht und deutsches Familienrecht tätig ist und ein Rechtshilfebüro leitet.

Vom unermüdlichen Kampf um ihr Recht, als Rechtsanwältin zu prakti­zieren, gezeichnet, erleidet Kempin-Spyri 1897 einen Nervenzusammenbruch und wird im September des gleichen Jahres wegen Geisteskrankheit in die Berliner Heil- und Pflegeanstalt «Berolinum» eingewiesen und im Folgejahr ent­mündigt. Im März 1899 wird sie schliesslich in die Irrenanstalt Friedmatt nach Basel verlegt, wo sie dann am 12. April 1901 verarmt und vereinsamt stirbt.

Das Vermächtnis einer Kämpferin

Vom neuen Anwaltsgesetz, das es Frauen im Kanton Zürich per 1898 trotz zur damaligen Zeit nach wie vor fehlenden Aktivbürgerrechts gestattete, den Anwaltsberuf auszuüben, konnte Kempin-­Spyri selbst keinen Gebrauch mehr machen. Trotz all ihren Bemühungen war es Kempin-­Spyri zeitlebens nicht möglich, als Anwältin zu praktizieren.

Erst 1923, über 20 Jahre nach Kempin-­Spyris Tod, wurde der bundesweite Entscheid gefällt, der es fortan allen Juristinnen in der Schweiz ermöglichte, den Anwalts­beruf auszuüben. Im Lichthof der Uni­versität Zürich erinnert heute ein Denkmal an die herausragende Leistung von Emilie Kempin-­Spyri, die vor 145 Jahren als erste promovierte Juristin Europas Geschichte schrieb und bis heute als bedeutende Pionierin im Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen gilt.

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Dominique Rais