Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland
Zürich West
29.09.2023
28.09.2023 08:59 Uhr

«Die meisten haben keine Zeit mehr»

«Albisrieden ist eine Oase in der Peripherie von Zürich; dörfliche Provinz im besten Sinn des Worts», sagt Ulrich Elsener (80).
«Albisrieden ist eine Oase in der Peripherie von Zürich; dörfliche Provinz im besten Sinn des Worts», sagt Ulrich Elsener (80). Bild: Urs Heinz Aerni
Der Schweizer Künstler Ulrich Elsener lebt in Genua und ist immer wieder in Zürich anzutreffen. Im Gespräch mit dieser Zeitung gibt der Maler Auskunft über die Unterschiede beider Welten und seine Arbeit für die Kunst, die Leben bedeutet.

Urs Heinz Aerni

Ulrich Elsener, Sie sind in Biel geboren, Bürger von Menzingen in Zug, leben in Genua und wir treffen uns hier in Albisrieden, weil Sie hier ein Atelier samt Lager mit Ihrer Kunst betreiben. Vielleicht mal vorweg die einfache Frage: Gefällt es Ihnen hier?

Aber ja, sicher, Albisrieden ist eine Oase in der Peripherie von Zürich; dörfliche Provinz im besten Sinn des Worts, und gleichzeitig ist von hier das Stadtzentrum in Minuten erreichbar.

New York, Genua, Paris und Zürich sind Orte, die in Ihrer Biografie vorkommen. Welche Rolle spielen Städte und Regionen für Ihre künstlerische Arbeit?

Städte sind grundsätzlich stimulierend, hier wohnen Menschen, die die Herausforderung suchen, oder kurz: Sie kreieren eine anregende Atmosphäre. Genua ist ein Sonderfall, denn hier lebt auch ein Bewusstsein einer Stadt, die vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert zu den wichtigsten Grossstädten Europas gehörte und aus dieser Zeit ein immenses kulturelles Erbe besitzt. Der politische und ökonomische Niedergang der Stadt hat auch die Bedeutung der modernen Kultur limitiert. Genua ist kulturell sowie ­geschichtlich gesehen sozusagen das umgekehrte Spiegelbild von Zürich. Das fasziniert mich immer wieder.

Beim Betrachten Ihrer Gemälde stösst man immer wieder auf eine Art Collage zwischen Mensch und Kartografie, als würden Sie versuchen, sich gestalterisch durch die Welt zu navigieren. Kann Kunst helfen, den Weg durchs Leben zu finden?

Der Einzug der Fotografie in die Museen hat die traditionelle Kunstwelt erschüttert, der Glaube an den Wert des Unikats, der künstlerischen Handschrift galt nicht mehr. Die Zeichnung, die Malerei wollte und will ich nie verlassen.

Warum?

Weil ich von deren spezifischem Wert überzeugt bin. Als Grundlage zur Arbeit benutzte ich nunmehr alles tausendfach gedruckte «wertlose» Papier, das mich ­anregte zu bearbeiten, der «Handschrift» gegenüberzustellen. Heute sind die Landkarten ein Schwerpunkt meiner Arbeit geworden, weil die Integration des menschlichen Körpers in die Topografie der Erde eine vorzügliche Metapher für unser Leben ist, das vom Wohlergehen dieser Welt abhängt.

Eine Art der Dynamik-Pflege zwischen der Kunst und dem Realen ...

In meiner Arbeit habe ich immer versucht, im Kontakt mit dem Leben zu bleiben, darauf zu reagieren, und das ist für mich sinnstiftend.

Würden Sie einem sesshaften Kunstschaffenden das Reisen ans Herz legen?

Wenn gefragt: Ja. Wenn nicht: Nein.

Zu Vernissagen werden oft Kunsthistoriker oder Kunstexpertinnen für eine Rede eingeladen und oft ist auch zu hören, dass vielfach zu viel hineininterpretiert würde. Wie sehen Sie das?

Ein schwieriges Thema. Grundsätzlich glaube ich, dass in der sogenannten visuellen Kunst viele Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Biologie etc. Eingang gefunden haben und das Produkt oft nicht mehr visuell, sondern intellektuell verifiziert werden muss. Wo der Erklärungsbedarf gross ist, ist die Gefahr auch gross, dass Referentinnen und Referenten vor allem über sich selbst sprechen.

Kunstschaffende nehmen vielleicht Veränderungen anders wahr als ein Gärtner, eine Polizistin oder ein Busfahrer. Und Zürich verändert sich sehr. Wie erleben Sie das?

Die meisten Leute haben keine Zeit mehr für Kontemplation, den Weg zum Bild zu machen, heute bewegt sich das Bild zum Menschen, damit es schneller geht.

In unserem Gespräch sagten Sie, dass Sie demnächst wieder nach Genua fahren. Gestatten Sie mir mal die Frage: Was hat Zürich, was Genua nicht bieten kann?

Ein breit gefächertes kulturelles Programm, das seinesgleichen sucht. Zuverlässigen Service in den verschiedensten Bereichen.

Wenn wir Sie wieder mal in Zürich-West antreffen möchten, wo finden wir Sie am ehesten?

Im Kreis 5 in einem der Strassenrestaurants, an heissen Sommertagen im Biergarten Sternen in Albisrieden.

Zur Person

Ulrich Elsener wurde 1943 in Biel geboren, machte einen Diplomabschluss als Ingenieur in Chemie, besuchte die USA und richtete 1978 in Genua und 1983 in Zürich ein Atelier ein. Seit den 1990er-Jahren wirkte er in vielen Projekten, von der Buchgestaltung bis zu eigenen Ausstellungen in Genua über Graubünden bis nach Zürich. www.uelsener.com

Urs Heinz Aerni/Zürich24