Simone Brander, Sie sind nun seit gut 15 Monaten Stadträtin. Was geben Sie sich bislang für eine Note?
Das müssten andere sagen, vor allem die Bevölkerung. So sind Abstimmungsergebnisse für mich wie Noten, etwa jene positiven vom 3. September.
Wie verlief das erste Amtsjahr sonst so?
Ich habe viel geerbt von meinen Vorgängern, das sie geplant und angerissen hatten. Highlights meines ersten Jahres waren sicher der Baustart des Velotunnels unter dem Hauptbahnhof und die Eröffnung der ersten Stückes Velovorzugsroute an der Baslerstrasse. Dann war da auch die Eröffnung der Verbindungsleitung Hagenholz–Josefstrasse der Fernwärme und ich durfte bei der Eröffnung des Parks am Wasser von Grün Stadt Zürich dabei sein.
Das sind alles Grossprojekte mit langer Vorlaufzeit. Was haben Sie bis jetzt selber initiiert?
Das Thema Klimaschutz habe ich verstärkt aufgenommen. Vor allem im
Tiefbau bei den Fragen, was für Maschinen und was für Materialien infrage kommen. Konkret, wo elektrische Maschinen als Ersatz für dieselbetriebene möglich sind und wo nicht. Für viel Power und sehr schwere Arbeiten ist es schwierig mit Batterien, sonst ist einiges möglich.
Von Entsorgung + Recycling Zürich ist bekannt, dass es stark vorwärts macht, etwa mit Elektrofahrzeugen.
Alle machen vorwärts, denn es ist eine Vorgabe der Stadtverwaltung. Auch bei Strassenbauprojekten ist man dran. Man hat zusammen mit Forschungspartnern untersucht, wie es bei Kies, Beton und Asphalt rund um den Klimaschutz steht. Es geht immer darum, das verabschiedete Klimaschutzziel zu erreichen. Das Tiefbauamt aus meinem Departement hat den Lead bei der ganzen Mobilität, Massnahmen dazu auszuarbeiten. Letztes Jahr haben wir das Monitoringtool vorgestellt. Jetzt geht es darum, den Ist-Stand und den Zielpfad dort reinzufüllen. So können wir sehen, ob wir wirklich auf Kurs sind. Wir bekommen Antworten, ob die Massnahmen reichen, um das Ziel zu erreichen.
Themawechsel: Stimmt der Eindruck, dass Sie selber nicht sehr oft Velo fahren?
Ja, ich fahre nicht viel Velo.
Und warum nicht?
Ich finden den öffentlichen Verkehr super und ich gehe sehr gerne zu Fuss. Ich habe aber bei «Bike to Work» mitgemacht und bin einen ganzen Monat mit dem Velo zur Arbeit gefahren.
Haben Sie ein Velo der Stadt benützt?
Ein Publibike, meist mit Elektroantrieb. Es hat eine Station vor meinem Büro und eine am Röschibachplatz, in der Nähe meiner Wohnung.
Und, wie wars mit dem Velo?
Es war ein Zusatzaufwand. Es brauchte mehr Zeit.
Wie bitte, mehr Zeit?
Ich hatte an viele Orte länger als mit dem ÖV. Zudem kann ich im Tram und Bus E-Mails beantworten, das geht auf dem Velo nicht.
Wie haben Sie es denn mit dem Autofahren?
Ich habe einen Fahrausweis, aber ich bin nicht geübt im Autofahren. In den Sommerferien bin ich viel mitgefahren, etwa mit der Dienstabteilung Grün Stadt Zürich an diverse Orte in der Stadt. Mit einem Förster und einem Wildhüter sogar durch den Wald.
Im Wald hatte es sicher genug Platz. Anders sieht es in der Stadt aus. Dort fehlt meist der Platz für Autos und für Velos. Da können Sie es niemandem recht machen.
Wenn man den Fuss- und Veloverkehr fördern will, muss man jemandem den Platz wegnehmen. Wenn das beim Auto passiert, ist es nach wie vor ein grosses Thema.
Aus Autofahrersicht macht es die Stadt diesen Verkehrsteilnehmenden sehr schwer, sich auf vier Rädern zu bewegen. Können Sie diesen Frust verstehen?
Autofahrerinnen und Autofahrer haben das Gefühl, sie kämen zu kurz, man nehme ihnen etwas weg. Dazu haben wir eine Kampagne gestartet, um das Verkehrsklima zu verbessern. Das Ziel: mehr Rücksicht nehmen aufeinander.
Welche Kampagne war das?
Unterwegs sein, wie wenn man das eigene Grosi, also die Grossmutter, dabei hätte.
War jene Kampagne nicht ein bisschen despektierlich den Seniorinnen gegenüber?
Es gab verschiedene Frauen, die sagten, Grosi sähen heute nicht mehr so aus. Lässig fand ich, dass die Kampagne immer wieder aktuelle Themen aufgenommen hat. Etwa fürs Züri-Fäscht, immer wieder Neues. So war die Kampagne origineller als die vorherige mit den Generell-freundlich-Tafeln.
Gibt es bald eine neue Kampagne?
Ja. Der Lead ist beim Sicherheitsdepartement.
Zurück zu den Velowegen. Entgegen dem Wunsch Ihres Vorgängers Richard Wolff (AL) wurde das Velo-Express-Team massiv aufgestockt. Davon merkt man im Alltag wenig.
Das Express-Team ist ein gemischten Team vom Tiefbauamt aus meinem Departement und von der Dienstabteilung Verkehr aus dem Sicherheitsdepartement. Sie arbeiten Hand in Hand zusammen. Ich finde schon, dass man etwas merkt von ihnen. Auf der Website stadt-zuerich.ch/velo sind gut 50 Sofortmassnahmen dokumentiert, inklusive Fotos. Das ist alles in den letzten 12 Monaten passiert. Aber ja, es sind oft kleine Massnahmen, wie Randsteine abschleifen, bessere Markierungen, Einbahnstrassen aufmachen etc. Es sind nicht die grossen Würfe, aber ich finde es trotzdem eindrücklich, was man alles erreicht hat in einem Jahr.
Stört es Sie nie, dass alles Grössere so lange dauert?
Die Planauflagen, die jetzt zu grösseren Projekten stattfinden, werden in sechs bis acht Jahren umgesetzt. Deshalb machen wir auch Projekte mit kürzeren Fristen. Projekte, wo wir einzig eine Velovorzugsroute umsetzen oder die Fernwärmeleitungen installieren. Damit wollen wir zum Beispiel das Ziel erreichen, bis 2030 alle Veloschnellrouten umgesetzt zu haben. Oder bis 2040 dann ebenfalls aus Klimaschutzgründen das Fernwärmenetz.
Was sind die Nachteile dieses schnelleren Vorgehens mit nur einer Massnahme?
Wünsche wie beispielsweise neue Bäume auf Velovorzugsrouten würden das Verfahren mit Einsprachefristen und Gerichtsverfahren verkomplizieren. Damit würden wir die Klimaschutzziele nicht erreichen. Darum finde ich das verkürzte Vorgehen gut.
Bei den Veloschnellrouten ecken Sie trotzdem an. Für die einen hat es dort immer noch zu viele Autos. Für die anderen, darunter auch Velofahrende, ist dieses Umwandlung aber völlig übertrieben. Lieber nicht so viele Parkplätze abbauen und an den gefährlichen Kreuzungen vorwärtsmachen, lautet die Forderung.
Wir versuchen, Velovorzugsrouten möglichst einfach einzuführen. Wenn im Richtplan eine Velovorzugsroute eingetragen ist, nehmen wir die Strasse, wie sie ist und setzen die Vorgabe von 4,8 Metern Breite um. Alle Parkplätze, die in diesem Perimeter sind, kommen weg. Wir schauen aber nicht, ob man durch eine so genannte Umwidmung noch Bäume pflanzen kann.
Das Paradebeispiel für diese Vorgehen ist die Baslerstrasse.
Genau. Mit einer Baumallee an diesem Ort wäre die Umnutzung sechs bis acht Jahre gegangen.
Sind denn die recht breit wirkenden 4,8 Meter für die Velovorzugsrouten gesetzlich geregelt?
Nein, das sind Standards. Die Vorgaben kommen von der privaten Normenorganisation VSS (Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute, die Red.).
Trotzdem wirkt die geforderte Breite
extrem, wenn so viele Autoparkplätze weichen müssen.
Das Kriterium ist, dass man als Velofahrer und Velofahrerin ein anderes Velo überholen kann. Das ist das Kriterium und rein funktional.
Sie haben aus Ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit eine grosse Verwaltungserfahrung vom Bund und vom Kanton Aargau. Ein Vor- oder ein Nachteil?
Es ist ein grosser Vorteil, wenn man weiss, wie eine Verwaltung funktioniert. So kann man Sachen umsetzen, wo auch etwas herauskommt. Ich weiss, dass man gewisse Leute einbeziehen muss, um ans Ziel zu gelangen. Das ist ein Riesenvorteil. Dazu kommt meine Erfahrung mit Submissionen, das Thema der Beschaffung beschäftigt mich jeden Tag. Wenn man selber schon Vergaben gemacht hat, ist es viel einfacher, als wenn man noch nie damit zu tun hatte.
Auf den 1. Oktober setzte der Kanton ein neues Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen in Kraft. Was bringt das für die Stadt Zürich?
Das hilft uns, der Nachhaltigkeit mehr Gewicht zu geben, gerade im Hinblick auf den Klimaschutz. Dazu gab ich allen meinen Dienstabteilungen den Auftrag, zu überlegen, wie man dank dem kantonalen Gesetz klimafreundlichere Materialien und Maschinen nutzen kann. Es ist ein trockenes, unsexy Thema, aber man kann hier sehr viel erreichen (lacht).