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Kultur
27.10.2023

Auf der Suche nach dem eigenen Grossvater

(68) spielte auch in der Kult-Serie Lüthi und Blanc mit.
(68) spielte auch in der Kult-Serie Lüthi und Blanc mit. Bild: zvg
Hanspeter Müller-Drossaart kannte seinen Grossvater nicht. Im Sogar-Theater geht er im Stück «Ggrell» auf eine Zeitreise. Im Interview gibt der aus Filmen wie «Die Herbstzeitlosen» oder «Sternenberg» bekannte Schauspieler Auskunft zu seinem biografisch- fiktiven Theaterabend.

Interview: Urs Heinz Aerni

Hanspeter Müller-Drossaart, mit grossem Erfolg brachten Sie die Romane «Der Trafikant» von Robert Seethaler und «Bajass» von Flavio Steimann auf die Theaterbühne. Nun wagten Sie sich an einen Stoff, der mit Ihrer Herkunft zu tun hat. Ab wann wussten Sie, dass Sie genug Material für eine literarische Umsetzung haben?

Eigentlich nie. Da man neben der faktischen Auflistung der Lebensdaten in den Kirchenbüchern und den stammbaumgemässen Verästelungen seiner Vorahnen über sein Leben und Wirken sehr wenig weiss, musste und wollte ich mich auf ein Zeittableau konzentrieren, um mit dazu erfundenen Figuren den vermutlich eher friedlichen Erfahrungs-Topos meines Grossvaters durch das politische Drama des Ersten Weltkrieges zu ergänzen.

Auch hier verwandeln Sie sich in verschiedenste Figuren und Charaktere und lassen sie um die Hauptfigur kreisen, die Ihr Grossvater hätte sein können. Wie dürfen wir uns die Gestaltung dieser Figuren vorstellen?

Plastisch und konfliktreich! Neben meiner meist in Hochdeutsch erzählenden Enkel-Autorenstimme erfand ich den Kutscherkollegen Giorgio Beltrami, der seinem Pferd in farbigem Urner Dialekt rückblickend die Ereignisse berichtet, ein vitaler, gut geerdeter Mann aus dem Volk.

Dazu kommt auch ein deutscher Geschäftsmann ins Spiel ...

Richtig. Wichtig war es mir, mit der Figur des euphorischen deutschen Düngemittel-Importeurs Ludwig Krahn, welcher im Verlauf des Stückes im Krieg seinen Sohn an der Front verlieren wird, der doch eher friedlichen Idylle der Innerschweiz eine konflikttragende Person gegenüberzustellen. Das Rollenensemble wird zudem durch weitere kleinere Figurenskizzen wie den vatikanischen Monsignore Taglierini, den venezianischen Devotiona­lienhändler Massimo Speranzin oder Comtesse de Brouillard ergänzt.

Gegen Schluss löst eine fachtechnische Analyse im Publikum Heiterkeit aus.

Vom Lokalhistoriker Leo Riebli wird die Erzählung schlussendlich kritisch beleuchtet und erweitert die Aufführung um eine ironische Dimension.

Eine Welthaltigkeit bekommt das Stück nicht nur durch das Aufkommen des Tourismus und der Transportindustrie in der damaligen Zeit, sondern wie Sie die Menschen mit ihren Sehnsüchten, Plänen, aber auch Humor auftreten lassen. Erklären Sie damit auch etwas Ihre Liebe an die Bergtäler?

Gewiss! Diese Liebe, die ich eher als unwählbare, aber nicht minder identitäts- stiftende Geworfenheit bezeichnen würde. Sie begleitet mich seit meiner Kindheit. Ich stelle es mir gerne bildhaft vor: Geboren und auf allen Vieren auf dem steinigen Boden hebt man den Blick zum Licht und blickt ins Weite. Beides, die Erdverbundenheit und die Sehnsucht in die Fremde, möchte ich nicht missen.

Wurden Sie bei der Recherche auch von neuen Fakten überrascht?

Ja, in unzähligen Details. Die Familie Hess im Hotel Nünalphorn auf dem Flüeli war zum Beispiel wirklich berühmt für ihre grossartige Salatsosse.

Nun touren Sie mit «Ggrell», einem Stück durch diverse Seelenleben, durchs Land. Worauf sind Sie gespannt?

Ich bin neugierig, ob diese kleine persönliche «Innerschweizer Weltgeschichte» auch für mein Stammpublikum in der übrigen deutschsprachigen Schweiz zum bewegenden und unterhaltsamen Theaterabend wird.

Sie schreiben nah an den Sprachen der Menschen und umranken die Erzählung mit geschliffenem Bühnendeutsch. Wie würden Sie die Macht der Sprache und ihre Auswirkung auf uns beschreiben?

Voraussetzend, dass es meiner Ansicht nach nichts Missverständlicheres gibt als unsere verbale Kontakte, ist es doch gleichzeitig die Sprache, die in ihren differenzierten Ausprägungen, ihrem reichen Wortschatz uns die präziseste und verbindlichste Kommunikation ermöglicht. Wobei das Zögern, die Pausen, das Schweigen, das Nichtgesagte nicht zu unterschätzen sind.

Zur Person

Hanspeter Müller-Drossaart wurde 1955 in Sarnen geboren, lernte Schauspiel und Theaterpädagogik an der Schauspielschule Zürich und trat danach in den Ensembles des Neumarkt Theaters, des Schauspielhauses Zürich und des Wiener Burgtheaters auf. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er durch seine vielen Film- und Fernsehrollen bekannt, beispielsweise in «Die Herbstzeitlosen» oder «Sternenberg». 2015 publizierte er seinen ersten Gedichtband «zittrigi fäkke» in Obwaldner Mundart. 2018 erschien mit «gredi üüfe» eine Lyriksammlung Urner Mundart und aktuell liegt sein Buch «Steile Flügel» vor mit Gedichten in Dialekt und Deutsch.

Weitere Informationen online auf: www.hanspeter-mueller-drossaart.com

«ggrell!» von und mit Hanspeter Müller-Drossaart bis 9. November: www.sogar.ch

Urs Heinz Aerni/Zürich24