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Kultur
07.12.2023
08.12.2023 09:09 Uhr

Zürichs Löwenbändiger auf der Spur

Diese Aufnahme aus dem Jahr 1904 zeigt Urs Eggenschwyler zusammen mit seinem zahmen, stadtbekannten «Züri-Leuli».
Diese Aufnahme aus dem Jahr 1904 zeigt Urs Eggenschwyler zusammen mit seinem zahmen, stadtbekannten «Züri-Leuli». Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
ZEITREISE – Der Bildhauer Urs Eggenschwyler war ein begnadeter Künstler und ein Zürcher Stadtoriginal seiner Zeit. Vor 100 Jahren ist der «Leuenmacher», der sich mit seiner Menagerie auch als Löwenbändiger einen Namen machte, gestorben. Seine imposanten Werke haben in der Limmatstadt überdauert.

Dominique Rais

Zur Jahrhundertwende galt er als Zürcher Stadtoriginal: der Bildhauer, Tierfreund und Menagerie-Betreiber Urs Eggenschwyler (1849–1923). Seine Werke zeigen das Faible des Künstlers für Raubkatzen – insbesondere für Löwen. Seine imposanten Statuen von Zürichs Wappentier, dem Löwen, haben in der Limmat­stadt bis heute Bestand.

Mit der 1894 geschaffenen «Zürileu»-Skulptur, die noch heute auf dem Hafendamm Enge thront, hat Eggenschwyler der Stadt ein unverkennbares Denkmal geschaffen. Und auch anderenorts in der Stadt finden sich seine Werke – etwa bei der Stauffacher­brücke. Im Jahr 1899 erbaut, wachen auf den Pylonen seither vier sitzende Bronzelöwen hoch über der Sihl.

Aufgrund der Vielzahl an Löwen­statuen, die Eggenschwyler damals erschuf, kam es nicht von ungefähr, dass ihn sein Freund und Gönner, der Zürcher Schriftsteller Gottfried Keller (1819–1890), dereinst als den «Leuenmacher» von Zürich betitelte.

Das «Züri-Leuli» und sein Ziehvater

Auch mit Albert Heim (1849–1937), damals Professor für Geologie an der ETH Zürich, verband Eggenschwyler eine langjährige Freundschaft. Darüber hinaus stand ihm Heim auch als Gönner und Förderer zur Seite. Über seinen Freund Eggenschwyler sagte er einst: «Er modellierte Tiere nicht, um sich als Künstler zu zeigen, vielmehr, um das Tier und seine Schönheit zu zeigen und festzulegen. Er hatte Künstler­bewusstsein ohne Künstlerhochmut.»

Nebst seiner Arbeit als Bildhauer und Maler war er auch als Gestalter künst­licher Felsanlagen in Zoos und Tierparks im In- und Ausland tätigt – etwa für den St. Galler Wildpark Peter und Paul, den Basler Zolli sowie den Tierpark Hagenbeck in Hamburg. Eggenschwyler, der mit Tieren aufgewachsen und aufgrund einer Scharlach­erkrankung seit seiner Kindheit schwer­hörig war, fühlte sich schon damals mehr den Tieren als den Menschen verbunden.

  • Ab 1891 unterhielt der Bildhauer und Tierfreund in Zürich eine private Menagerie , in der er zahlreiche Wildtiere beherbergte. Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
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  • In seiner «Menagerie auf dem Milchbuck» beherbergte Eggenschwyler nebst Löwen auch noch zahlreiche andere Raubkatzen wie etwa diesen Leoparden. Bild: zvg
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  • Diese Aufnahme aus dem Jahr 1904 zeigt Urs Eggenschwyler zusammen mit seinem zahmen, stadtbekannten «Züri-Leuli». Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
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Die Liebe des Bildhauers zu Tieren zeigte sich sodann auch abseits seiner Arbeit als Künstler. Und so kam es, dass er ab 1891 in Zürich eine private Menagerie unterhielt, in der er zahlreiche Wildtiere beherbergte. Nebst bis zu fünf Löwen zählten auch Leoparden, Pumas und Bären ebenso wie Wölfe und Affen zu seinen Schützlingen. Sein «Züri-Leuli», das am 1. Januar 1902 in der «Menagerie auf dem Milchbuck» zur Welt kam, von seiner Mutter jedoch verstossen und daraufhin von Eggenschwyler mit der Flasche aufge­zogen wurde, war schnell stadtbekannt.

Denn der Ziehvater pflegte mit dem heranwachsenden Löwen an der Leine durch die Limmat­stadt zu spazieren. Eine Bege­gnung mit dem Löwenbändiger und seinem Zögling sorgte damals in der Bevölkerung für Faszination wie auch Ehrfurcht gleichermassen. Letztlich schob die Polizei Eggenschwylers Löwen-­Spaziergängen aber einen Riegel und verbannte das «Züri-­Leuli» zurück in seinen Käfig.

Vision eines Zoologischen Gartens in Zürich

Gerade einmal dreieinhalb Jahre alt war der «Büeb», wie ihn sein Ziehvater liebe­voll nannte, als die NZZ am 8. Juli 1905 die traurige Nachricht von dessen Tod vermeldete. Grund soll eine zu hoch dosierte Morphiumspritze im Zuge einer Zahnextraktion gewesen sein. Über den Verlust seines geliebten «Zürileus» war sein Ziehvater damals untröstlich. Allen Rückschlägen zum Trotz hatte Eggenschwyler nicht zuletzt zeitlebens am Ausbau seiner Menagerie und der Idee eines Zoologischen Gartens in der Stadt Zürich festgehalten.

Vor 100 Jahren, am 8. Dezember 1923, ist Eggenschwyler im Alter von 74 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben. Seine Menagerie wurde schliesslich aufgelöst und die Tiere umgesiedelt. Die Eröffnung des Zoo Zürich im Herbst 1929 erlebte der Tierfreund selbst nicht mehr.

Zeitreise: eine historische Serie

Die historische Serie «Zeitreise» taucht ein in Zürichs Vergangenheit und greift die Geschichten von Menschen und geschichtsträchtigen Ereignissen längst vergangener Tage auf.

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Dominique Rais