Tobias Hoffmann
Wenn Blinde oder Sehbehinderte aus ihrem Alltag erzählen, kann einem das die Augen öffnen. Vor einiger Zeit erschien in der «Wochenzeitung» ein Bericht über das Leben von drei Betroffenen, die über die vielen kleinen Tücken in ihrem Alltag Auskunft gaben. Eine von ihnen: Regula Schütz (58), die vor 30 Jahren erblindete. Augenöffnend ist diese Passage: «Auf dem Weg zum Bus stosse ich unsanft mit der Schulter an den Lenker eines Trottinetts, das auf dem Trottoir abgestellt wurde. Die Leitlinien helfen eigentlich sehr, stünden da nicht immer wieder Menschen, Gepäckstücke oder andere Dinge darauf.»
Leitlinien, so viel ist den meisten klar, das sind diese auf den Asphalt aufgebrachten weissen Streifen. Sie helfen sehbehinderten Menschen bei der visuell-taktilen Orientierung. Man trifft sie in der ganzen Stadt an, häufig bei Fussgängerampeln und Haltestellen des öffentlichen Verkehrs. Und mehr öffentlicher Verkehr als beim Hauptbahnhof geht wohl kaum. Auch bei dessen «Hinterausgang», der Passage Sihlquai, findet man sie und gelangt, ihnen folgend, auf die hier platzartig geweitete Europaallee.
Leitsystem für taktile Orientierung
Nach einigen Metern setzen sie sich fort: in Form eines gerillten Granitbands, das sich beidseits der Europaallee entlang der Häuserfassaden hinzieht und mit den beiden Gingkobaumreihen eine gestalterische Einheit bildet. Die Architektin Eva Schmidt, Leiterin der Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur, erklärt, was es damit auf sich hat: Als die Gestaltung der Europaallee als Begegnungszone mit Platzcharakter geplant wurde, galt es, die Abgrenzung zum befahrbaren Bereich ertastbar hervorzuheben.
Die Fachstelle hat die Planer beraten, «wie die Granitbänder taktil so verändert werden können, dass sie sich vom Asphalt abheben». Der Belagswechsel wurde so ein Führungselement, das Sehbehinderten als Orientierung dient. Die meisten jedoch dürften die Granitplatten für reine Gestaltungselemente halten, in typisch schweizerisch-minimalistischem Design.