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Zürich 2
11.01.2024
13.01.2024 20:40 Uhr

Über 100 Jahre im Besitz der gleichen Familie

Firmengründer Raoul Pesavento, hier mit Ehefrau Melanie, Sohn Robert und Tochter Melanie, erwarb die Liegenschaft 1920.
Firmengründer Raoul Pesavento, hier mit Ehefrau Melanie, Sohn Robert und Tochter Melanie, erwarb die Liegenschaft 1920. Bild: zvg
Dem Bau des Rietbergtunnels vom Bahnhof Enge nach Wollishofen fielen im Bereich Grütlistrasse viele Liegenschaften und auch der ehemalige Friedhof Enge zum Opfer. Ein Zeitzeuge aus dem 19. Jahrhundert ist jedoch die Liegenschaft Grütlistrasse 36. Sie ist heute noch in Familienbesitz.

Karin Steiner

Mit dem Bau der linksufrigen SBB-Seebahnlinie in den 1920er-Jahren und damit verbunden dem Rietbergtunnel hat sich das Quartier rund um die Grütlistrasse in der Enge massiv verändert. Zahlreiche Häuser fielen dem Projekt zum Opfer, und auch der ehemalige Friedhof Enge, den man zwar bereits 1878 schloss, als man den Friedhof im Giesshübel eröffnete, wurde 1923 gänzlich geräumt.

Gleich neben dem ehemaligen Friedhof, an der Grütlistrasse Ecke Bluntschli­steig, steht jedoch eine Liegenschaft, die den Tunnelbau unbeschadet überstanden hat. Sie wurde um 1860 erbaut, 1920 von Raoul Pesavento erworben und ist seit dessen Tod im Besitz der Familie Pesavento. Heute gehört sie zusammen mit der Liegenschaft Bluntschlisteig 1 Leonardo E. Pesavento. Und so soll es auch weiter bleiben, wie der Besitzer bestimmt erklärt.

Clichés von nationaler Bedeutung

Die Geschichte reicht ins 19. Jahrhundert zurück, als Leonardo E. Pesaventos Urgrossvater mit 14 Jahren aus Asiago in Oberitalien nach Strassburg auswanderte. Er war Analphabet und Mineur von Beruf. Später kam er nach Zürich und fand bei Escher Wyss eine Anstellung als Gussputzer. Sein Sohn Raoul arbeitete in der Modellgiesserei. Er lernte Kupferclichés kennen, Druckformen für das Hochdruckverfahren, bildete sich in diesem Handwerk aus und war schliesslich einer der Ersten, der diese Clichés produzierten, wie Leonardo E. Pesavento erzählt. 1912 gründete er gemeinsam mit Otto Hager an der Grütlistrasse 36 eine Kollektivgesellschaft unter dem Namen «Hager & Pesavento, Clichéfabrikation». Bereits 1918 starb Otto Hager und die Firma wechselte den Namen auf «Kunst- und Cliché-Anstalt Raoul Pesavento» und später, nachdem die Söhne Robert und Otmar in die Firma eingetreten waren und Raoul 1939 gestorben war, wurde sie zu «R. Pesavento Söhne, Cliché-Anstalt Zürich 2».

Vorne das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, hinten der «Neubau» von 1927. Bild: Karin Steiner

Neubau aus dem Jahr 1927

Die Liegenschaft, in die sie eingemietet waren, gehörte damals der Immobiliengenossenschaft Enge. «Man wollte sie loswerden, weil man befürchtete, dass sie durch den Tunnelbau Schaden nehmen würde», so Leonardo Pesavento. Für 95 000 Franken ging sie an die Familie Pesavento über. 1927 zog das Geschäft in den Neubau, den Raoul Pesavento am Bluntschlisteig 1 auf dem Areal, das er mit der Liegenschaft erworben hatte, errichtete. «Der Grossvater wollte vergrössern. Oberhalb seines Grundstücks lag die Villa der Familie Baur vom ‹Baur au Lac›. Raoul Pesavento konnte einen Teil ihres Gemüsegartens für den Neubau übernehmen. Die oberste Wohnung baute der Grossvater für sich, unten war die Firma untergebracht.» Die Cliché-Anstalt der Familie ­Pesavento entwickelte sich bald zu einer der grössten ihrer Art in der Schweiz.

Auch Leonardo Pesavento arbeitete kurz in der Firma, bevor er sich mit der Firma «repro, Leonardo Pesavento» in den Bereichen Aufnahmen, Kopien, Retouchen, Vorlagen und Vergrösserungen in Adliswil selbstständig machte. Er brach früh die Schule ab und machte bei Orell Füssli ein Jahr lang eine Schnupperlehre, bevor er die vierjährige Ausbildung zum Reproduktionsfotografen für Chemigrafie absolvierte. Dabei werden mit Chemie grafische Darstellungen erzeugt. Sein Geschäft wurde mit dem Einzug der digitalen Fotografie nach und nach schwieriger.

Die beiden Liegenschaften in der Enge hat er aus der Kollektivgesellschaft ausgelöst und danach selber verwaltet. Auch die Bau- und Instandsetzungen hat er selber unter seine Fittiche genommen. Sowohl der «Neubau» von 1927 als auch das um 1860 errichtete alte Gebäude an der Grütlistrasse 36 stehen heute noch, sind völlig instandgesetzt und rundum vermietet. Im Untergeschoss des neueren Hauses, im dem die Cliché-Anstalt untergebracht war, befindet sich heute das Kindertheater Purpur mit dem Café.

In der «Kunst- und Cliché-Anstalt Raoul Pesavento» wurden auch grosse Feste gefeiert. Bild: zvg
Karin Steiner/Zürich24