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Zürich Nord
24.01.2024

Christian Hübscher war Wipkingens Velo- und Seelenmech

Eine auffällige Persönlichkeit. Christian Hübscher (1955–2023) hatte für alle ein Ohr.
Eine auffällige Persönlichkeit. Christian Hübscher (1955–2023) hatte für alle ein Ohr. Bild: zvg.
Gut 30 Jahre lang führte Christian Hübscher den Veloshop «Velotech» an der Röschibachstrasse. Doch kurz nachdem er sein Lebenswerk an Sebastian Krayer übergeben hatte, bekam er die Diagnose Krebs. Immerhin konnte er noch einen Pensionistensommer in Frankreich geniessen.

Das Leben kann so ungerecht sein. Endlich findet man nach 30 Jahren Velomech-­Dasein eine passende Nachfolge, freut sich auf ruhigere Zeiten, und dann folgt die Hiobsbotschaft Krebs. Und zwar ein besonders bösartiger Ableger.
Und so blieb dem liebenswürdigen, hilfsbereiten, aber auch leicht knorrigen Christian Hübscher noch kaum ein Jahr zu leben. Er nahm das Schicksal so gelassen wie möglich und verbrachte mit seiner Tochter Vanessa und seinen drei Enkelkindern einen schönen Sommer im Süden. Etwas, was er schon lange im Sinn hatte. Auf der Strecke blieb hingegen sein Herzensprojekt, die ­eigene Velolinie «Hübscher Velos» wieder zu beleben. Der bisherige Stahlrahmenbauer wurde zu teuer, und eine neue Rahmenmanufaktur zu finden, erwies sich als sehr schwierig. Immerhin: Wie es ausschaut, soll es bald so weit sein mit dem Revival der Hübscher-Velo­linie. So lebt sein Erbe weiter. Man kann künftig zumindest dem einpräg­samen Namen begegnen in der Stadt.

Die Ästhetik des Buchdrucks

Christian Hübscher fand seine Velopas­sion erst relativ spät. Der 1955 geborene, gefühlt ewige FCZ-Fan übte zuerst den Beruf des Buchdruckers aus. Dies ist wohl der Grund, dass sich sein Shop «Velotech» stets stilvoll wie kein zweiter Veloladen in Zürich präsentierte. Vielleicht auch darum zog sich die Suche nach einem würdigen Nachfolger in die Länge, wie Sebastian Krayer erzählt. Es fand sich einfach lange niemand, der das Erbe von Christian Hübscher weiterführen konnte. Erst bei Krayer sprang der Funke, man kannte sich seit langem.
In Krayer brennt wie in Hübscher ein grosses Feuer für Velos und er führt den Laden wie bisher weiter. Tatsächlich ist «Velotech» ein Shop, der Reparaturen schnell ausführt, nicht immer die luxu­riöseste, teuerste Lösung sucht und auch mal nur das Nötigste macht, wenn der Kunde das so möchte. Das weiss der Schreibende aus eigener, langjähriger Erfahrung. Christian Hübscher war ein Velomech der besonderen Art. Denn er kümmerte sich auch ums Seelenleben vieler Quartierbewohnerinnen und -bewohner. Der lediglich 68 Jahre alt gewordene
Ästhet wohnte viele Jahrzehnte im Quartier und stellte mit einem ganz kleinen Murren fest, wie sich das Quartier immer mehr zum In-Place von Zürich verwandelte. Wer hätte 1990 gedacht, dass über 30 Jahre später jeder zweite Velokunde englischsprachig sein würde?

Legendäre Fotobiografien

Eine grosse Passion von Christian Hübscher war die Fotografie. Im Online-Magazin «Kreis10.ch» sind einige seiner besten Porträtfotos verewigt. Lesen wir rein: «Er galt nicht nur als hochgeschätzter Hausarzt für Hunderte von Velobesitzern. Er war auch ein erfahrener Fotograf. In ‹WIPQUEEN & WIPKING› war Hübscher für den Bildanteil verantwortlich, d. h. er fotografierte in loser Folge Wipkinger Menschen, die ihm auffielen und die auch willens waren, mit ihrem Porträt und ihrer Biografie auf ‹Kreis10.ch› zu erscheinen.»

Dabei war das Konzept durchaus originell, aber leicht schräg. Denn Hübscher hatte sich den Lebenslauf der jeweiligen Person zwar gemerkt, gab aber dem Schauspieler und Texter Daniel Ludwig lediglich das Bild weiter. Dieser versuchte danach, aufgrund dieses Bildes die ihm unbekannte Person zu beschreiben und ihr eine fiktive Biografie zu geben. «Manchmal haben sich überraschende Überschneidungen zur Realität ergeben, oft wird der Texter aber wohl weit danebenliegen», so www.kreis10.ch. Auf jener Website steht: «Wir sind Christian Hübscher dankbar für die stets kreative Arbeit. Leider weilt er nicht mehr unter uns und beobachtet Wipkingen aus einer anderen Distanz. Danke für viele schöne Momente und Geschichten.»

Cyril Schmidiger hatte zudem noch die schöne Idee, als Hommage das farbenfrohe Mobile-Schaufenster beim Ladeneingang zu reaktivieren. Nun lebt und bewegt sich etwas in diesem Kasten. Per App oder vor Ort kann man die Hintergrundfarbe einstellen und per Motörli bewegt sich ein vom Velografiker Marc Locatelli gezeichneter «Mini-Hübscher» hin und her. Locatelli signierte seine hervorragenden Zeichnungen und Comics oft mit einem «Vive le vélo!». So soll auch das Erbe von Christian Hübscher weiterleben.

Christian Hübscher (1955–2023). Bild: zvg.
Seine grosse Passion neben den Velos war das Fotografieren. Bild: zvg.

Infos zur interaktiven Schaufenster-Gedenkstätte vor dem Velo-Shop: www.gemma-design.ch

Lorenz Steinmann