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Zürich West
27.02.2024
28.02.2024 09:09 Uhr

Er ist das Gedächtnis von Albisrieden

Hans Amstad lebt seit seiner Geburt im Quartier und führt als Präsident des Vereins Ortsmuseum Albisrieden regelmässig Rundgänge durch.
Hans Amstad lebt seit seiner Geburt im Quartier und führt als Präsident des Vereins Ortsmuseum Albisrieden regelmässig Rundgänge durch. Bild: Jeannette Gerber
Hans Amstad ist ein Albisrieder Urgestein. Der pensionierte Primarlehrer sorgt im Ortsmuseum dafür, dass die Geschichte des Quartiers für die Nachwelt erhalten bleibt. Im Fachwerkhaus von 1580 gibt es viele spannende Geschichten zu entdecken.

Jeannette Gerber

In Afrika wäre er ein Griot: Ein Griot ist ein Geschichtenerzähler in Westafrika, der von Generation zu Generation das kulturelle und das soziale Leben, Traditionen und Gebräuche in einem Dorf oder einer Gemeinde am Leben erhält. Diese Funktion hat in Albisrieden Hans Amstad (78), pensionierter Primarlehrer, im Ortsmuseum übernommen. Hans Amstad lebt seit seiner Geburt im Quartier und führt als Präsident des Vereins Ortsmuseum Albisrieden unter anderem die regelmässig stattfindenden Rundgänge durchs Museum durch.

Das Ortsmuseum im «Obren Haller», ein Fachwerkhaus aus dem Jahr 1580 (während 400 Jahren von der Familie Haller bewohnt), beheimatet viele spannende Geschichten, die nur ein begnadeter Geschichtenerzähler wie Hans Am­stad lebendig schildern kann. Um dieses auch Museumsmuffeln schmackhaft zu machen, hat diese Zeitung Amstad nach seinen liebsten Ausstellungsstücken gefragt. Deren habe er viele, meinte er, und als Erstes zeigt er auf den Feuerwehrwagen direkt beim Eingang. Wen wundert’s? Ist doch fast Traum eines jeden Buben, einmal Feuerwehrmann zu werden.

Lieblingsstück: Spritzenwagen

Es handelt sich hier um den Spritzenwagen der Feuerwehr Albisrieden aus dem Jahr 1900, der noch von Pferden gezogen wurde und im Spritzenhäuschen an der Triemlistrasse zu Hause war. «Damals ging alles noch gemächlicher zu und her, auch das Feuerlöschen», sagt Amstad. «Auf beiden Seiten des Wagens sind Balken angebracht, die jeweils von drei Männern rauf- und runterbewegt wurden, um Wasser aus dem nahen Bach zu pumpen», erklärt er. «Bei einer Feuersbrunst staute man den Dorfbach mit Brettern. Wenn jedoch kein Bach in der Nähe war, musste das Wasser, um den Tank zu füllen, in Kübeln von Hand und zu Fuss von einer anderen Quelle herbeigetragen werden», führte er weiter aus. Es ist kaum vorstellbar, dass eine grössere Feuersbrunst so effizient gelöscht werden konnte. «Oft musste man einfach hilflos das Erlöschen des Feuers von selbst abwarten.»

Amstad erinnert sich, dass er als Kind am 28. Oktober 1953 beim Brand des historischen Riegelbauhauses Kehlhof an der Albisriederstrasse dabei gewesen sei. «Der Kehlhof diente früher als Zehntenabgabestelle der Landbesitzer, das heisst, die Gemeindemitglieder mussten den Zehntel ihres Einkommens als Steuern berappen», erzählt Amstad. «Die damaligen Mieter hatten im Gebäude ein Schiff renoviert und die mit Leinöl getränkten Lumpen unbeachtet liegen gelassen. Diese hatten sich daraufhin selbst entzündet und die Katastrophe ausgelöst», so der Ur-Albisrieder. Er zeigt dabei auf die Fotografie des ausgebrannten Hauses, das fast nur noch ein Skelett war. Diese Aufnahme ist eine der vielen historischen Fotografien, die zurzeit im Ortsmuseum im Rahmen der Ausstellung «Fotos aus alten Zeiten» gezeigt werden.

  • Dieses Schmuckstück ist eine sogenannte Brautkrone und wird im Museum sicher verwahrt. Bild: Jeannette Gerber
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  • Besonders wertvoll: die Züri-Bibel von 1597. Bild: Jeannette Gerber
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  • Der Spritzenwagen der Feuerwehr Albisrieden aus dem Jahr 1900 wurde noch von Pferden gezogen. Bild: Jeannette Gerber
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  • Das Lernen in digitalen Zeiten war da noch kein Thema: So sah ein Schulzimmer ca. 1900 aus. Bild: Jeannette Gerber
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  • Eine Seidenwinde aus dem Jahr 1880. Bild: Jeannette Gerber
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Prunkstück im Schrank versteckt

Das nächste Lieblingsstück vom Museumsleiter ist eine Glacemaschine, datiert ungefähr 1900. Für ihn sei dieses Stück etwas ganz Besonderes. «Zuerst wurden Früchte oder Beeren in den kleinen Tank des Holzbottichs eingefüllt, darum herum Eisstücke beigefügt und mit der Kurbel gedreht, bis sich Speiseeis bildete. Doch Eis hatte man nicht einfach im Kühlschrank, es musste beispielsweise aus dem gefrorenen Katzensee in Blocks gesägt werden, die dann im Keller aufbewahrt wurden», erläutert Amstad. Dann aber zeigt er das absolute Prunkstück im Museum: die Brautkrone. Sie ist in einem Zürcher Barockschrank, datiert 1780, untergebracht, der immer mit einem Schlüssel verschlossen ist. Diese Krone stammt aus dem Jahr 1750. Damals feierten die jungen Bräute ihre Hochzeit in Tracht und mit Krone.

Apropos Schlüssel, dazu hat Amstad eine ganz eigene Geschichte. «Dieser Schlüssel hier ist nicht mehr das Original, denn er wurde vor 35 Jahren gestohlen, und der Schrank musste aufwendig und kostenintensiv aufgebrochen und ein neuer Schlüssel angefertigt werden», erklärt er.

Weiter geht es zu den ganz alten Büchern. Darunter ist die Züri-Bibel aus dem Jahr 1597, gedruckt von Johann Wolff. Die von Huldrych Zwingli übersetzte Bibel wurde in der Druckerei Froschauer gedruckt. Diese ging 1590 an Johann Wolff über, der 1597 seine erste Bibel rausgeben konnte. «Da unsere Bibel noch im Reformationsjahrhundert gedruckt wurde, ist sie besonders wertvoll», betont Amstad.

In diesem Zusammenhang stellte er folgende Frage: «Wussten Sie übrigens, weshalb wir sagen ‹Ein Buch aufschlagen›?» Um dies zu illustrieren, zeigt er auf das Predigerbuch aus dem Jahr 1776, das seitlich mit zwei Beschlägen verschlossen wird. «Man schlug einfach auf den Buchdeckel, und die Beschläge öffneten sich.»

Bemerkenswertes Objekt

Dann zeigt der Lokalhistoriker voller Stolz die Seidenwinde aus dem Jahr 1880, Typ Karussell. «Damals fand nur Rohseide Verwendung. Wie auch heute noch wurde sie in Strängen geliefert. Zuerst musste die Seide von den Strängen auf Spulen gewickelt werden. Diese Arbeit führten Frauen in Heimarbeit aus», sagt Amstad. Sie hätten den Mechanismus dieser ausgeklügelten Maschinen mit einem Fusspedal in Bewegung gesetzt. Dabei musste die Seide auf die kleinen Spulen, die unten angebracht seien, abgespult werden. «Das ging von Spule zu Spule den ganzen Tag, und das zu einem Tageslohn von 3.50 Franken. Dieses Objekt ist bemerkenswert in der Welt der Technik. Es gibt übrigens nur noch ein zweites Exemplar in der Schweiz im Technorama Winterthur.»

Der Ur-Albisrieder Amstad hätte noch manches über seine Lieblingsstücke zu erzählen. Langweilig wird es sicher nie, und man verlässt das Museum etwas reicher an historischer Bildung.

Ortsmuseum Albsirieden, Triemlistrasse 2.Infos: www.ortsmuseum-albisrieden.ch. Geöffnet immer am 1. Sonntag im Monat von 13.30 bis 16 Uhr. Nächstes Mal: Abstimmungssonntag, 3. März.

Von 10 bis 12.30 Uhr ist das grosse Mühlerad in derAlten Mühle am Wydlerweg 19 in Betrieb.

Jeannette Gerber/Zürich24