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Ohne Infrastruktur keine Kultur

Anne-Catérine Nabholz, Gemeinderätin GLP
Anne-Catérine Nabholz, Gemeinderätin GLP Bild: zvg
Ähnlich sorglos nahm eine Mehrheit des Gemeinderats in Kauf, dass im Rahmen des neuen Fördersystems zwei Kleintheater leer ausgingen.

Zürich ist eine Kulturstadt. Hier können Kunst- und Kulturinteressierte täglich aus einer Vielzahl Angeboten wie Konzerten, Theatervorführungen, Ausstellungen, Lesungen u. v. m. auswählen. Während die Feuilletons dünner und die Kulturkritiken spärlicher werden, hat sich die Berichterstattung über unsere Kulturinstitutionen gewandelt und zugleich verschärft.

So wird auffallend oft über deren gesellschaftliche Orientierung geschrieben. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Ausstellungen im Kunsthaus finden weitaus weniger Widerhall als die als «erinnerungspolitisches Desaster» bezeichnete Bührle-Sammlung, über die vermeintliche «Wokeness» des Schauspielhauses wissen viele besser Bescheid als über den aktuellen Spielplan, und das Tanzhaus gab vor allem dann zu reden, als es zu Protesten anlässlich der «Drag Story Time», einer Lesestunde für Kinder, kam.

Selbstredend hat diese Debatte auch Einzug in den Gemeinderat gehalten. Denn auch Politikerinnen und Politiker debattieren gerne über das sich wandelnde Gesellschaftsverständnis – das ist auch richtig so. In der lokalen Kulturpolitik ist dieser Trend aber deshalb bedauerlich, weil dadurch die Freiheit künstlerischen Schaffens gefährdet und der damit verbundene Grundsatz, wonach das Parlament sich kein ästhetisches und schon gar kein politisches Urteil darüber anmassen sollte, welche Kunst förderungswürdig ist und welche nicht, geschwächt wird. Ebenso beklagenswert ist, dass angesichts der gegenwärtig dominierenden Debatten offensichtlich übersehen wird, wie kulturelle Infrastruktur vernachlässigt wird oder gar verloren geht.

So verhinderte der Gemeinderat zum Beispiel eine zeitgemässe Instandsetzung des Schauspielhauses zugunsten eines denkmalgeschützten Erinnerungsortes – als ob Erinnerung nicht auch in moderner Umgebung möglich wäre. Ähnlich sorglos nahm eine Mehrheit des Gemeinderats in Kauf, dass im Rahmen des neuen Fördersystems zwei Kleintheater leer ausgingen und die Bühnen vermutlich aus der Zürcher Theater- und Tanzlandschaft verschwinden werden oder dass das Museum Haus Konstruktiv aufgrund eines angeblich alternativlosen Standortentscheids des Stadtrats ins Löwenbräu-Areal umziehen musste. Klar ist: Wenn kulturelle Infrastrukturen wie Musikclubs, Bühnen oder Kinos aus dem Stadtbild verschwinden, haben sie im heutigen Umfeld kaum Chancen, wieder Fuss zu fassen. Weniger Infrastruktur bedeutet also auch weniger Vielfalt.

Es ist daher höchste Zeit für eine Kulturpolitik, die sich weniger um Inhalte kümmert, sondern mehr strategische Überlegungen über den Erhalt und die Förderung kultureller Infrastrukturen macht.

In der Rubrik «Aus dem Gemeinderat» schreiben Volksvertreterinnen und -vertreter regelmässig einen Beitrag. Alle im Stadtparlament vertretenen Parteien bekommen hierzu regelmässig Gelegenheit. Die Schreibenden ­äussern im Beitrag ihre persönliche Meinung.

Anne-Catérine Nabholz