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Stadt Zürich
14.05.2024
15.05.2024 13:40 Uhr

Ein betrübter Blick zu Boden

Pflästerung, Brunnen, Pflanzen auf dem Bullingerplatz – alles recht schön. Farbe kommt aber hauptsächlich von den Pflanzkübeln.
Pflästerung, Brunnen, Pflanzen auf dem Bullingerplatz – alles recht schön. Farbe kommt aber hauptsächlich von den Pflanzkübeln. Bild: Tobias Hoffmann
Die Stadt Zürich zeichnet sich nicht gerade durch überbordende Gestaltungsfreude bei den Oberflächen von Plätzen und Strassen aus. Doch lässt sie der Natur immer mehr Raum, und die bedankt sich mit der vermissten Vielfalt.

Tobias Hoffmann

Prag nennt sich stolz «Stadt der tausend Türme». Zürich ist mit der alten Kaiserresidenz natürlich nicht zu vergleichen, aber ohne Türme ist auch Zürich nicht denkbar: Die eng beieinander stehenden Kirchtürme der Altstadt tragen wesentlich zu ihrem Reiz bei. Niemand hat es je gewagt, Hand an sie zu legen, doch in den 1930er-­Jahren ging es vielen Türmchen, Kuppeln und sonstigen Gebäudeaufbauten an den Kragen, ebenso dem üppigen plastischen Fassadenschmuck von Bauten des Historismus. Eine Purifizierungswelle erfasste Zürich, denn dem neuen Zeitgeist machte das Ornamentale rasende Bauchschmerzen. So musste zum Beispiel der hübsche Turmaufbau auf der ehemaligen Fraumünsterpost – heute ist ein «Lidl» darin – am Stadthausquai dran glauben. Seine Entfernung habe die Stadtsilhouette beruhigt, schrieb das Fachblatt «Das Werk» 1934. Um den Preis, dass heute eine klobige Trutzburg neben dem filigran dekorierten Metropol-­Haus steht.

Ist es nun einfach der Zeitgeist in den Jahren des Neuen Bauens, der solche Verunstaltungen mit sich brachte? Oder ist es die sprichwörtliche Zürcher Nüchternheit und Zurückhaltung? Oder sogar der weiterhin über den Limmatwassern schwebende zwinglianische Geist? Wie auch immer, Zürich ist sicher nicht für seine besonders verspielte Architektur bekannt. Manches ist von einer fast schon deprimierenden Monotonie, und wirklich Exaltiertes kann man sich in dieser Stadt eigentlich gar nicht vorstellen. Was nicht nur ein Nachteil sein muss.

Asphalt statt Vielfalt

Aber lassen wir für dieses Mal die Architektur und wenden wir den Blick nicht nach oben, sondern nach unten, auf den Boden. Schliesslich steht der Sommer vor der Tür, die Zeit des Flanierens und Einkaufsbummelns ist gekommen, man sitzt in Strassencafés und sürfelt Cappuccino. Und worauf bummeln wir in einer der teuersten Städte der Welt? Asphalt und immer wieder Asphalt. Das ist doch logisch, mag man ausrufen: asphaltierte Strassen und Trottoirs, so ist es halt im urbanen Raum. Aber muss das so sein? Wir alle kennen von Reisen im Ausland Strassen und Plätze, die dank der Verwendung verschiedener Materialien lebendig, manchmal sogar ornamental gestaltete Oberflächen aufweisen. Ein relativ bescheidenes, aber aussagekräftiges Beispiel aus der Hamburger Speicherstadt ist unten zu sehen.

Konkurrenz im Ausland: Gepflästerter Platz­bereich in der Hamburger ­Speicherstadt. Bild: Tobias Hoffmann

Zürich hat in dieser Hinsicht nicht viel zu bieten. Vor zwei Jahren titelte NZZ-Redaktorin Irène Troxler denn auch in ihrem Stadtblog: «Zürichs heisse Liebe zum Asphalt». Stellen wir das krasseste Beispiel von Monotonie an den Anfang: Der Paradeplatz ist, wenn man «Monopoly» glauben darf, das teuerste Pflaster der Schweiz. Was sich aber in keiner Art und Weise in der Gestaltung niederschlägt: Früher gepflästert, ist er heute voll asphaltiert und baumlos. Eine der üppigsten Fassaden der Stadt, jene des früheren Credit-Suisse-Hauptsitzes, blickt auf graue Ödnis herunter. Und bei der angrenzenden Bahnhofstrasse, der teuersten Einkaufs- und Flaniermeile des Landes, hat die Renovation 2013/14 auch ­wieder nur einen durchgehenden Asphaltbelag ergeben. Das einzige hervorstechende Gestaltungselement sind leidlich elegante Baumscheiben aus Metall.

Naturstein-Spielereien da und dort

Natürlich gibt es Gegenbeispiele: Eindrücklich ist der Sechseläutenplatz, der vor gut zehn Jahren mit Platten aus Valser Quarzit belegt wurde. Auch hier könnte man angesichts der weiten, einheitlich materialisierten Fläche von Monotonie reden, aber Grandezza ist dem Platz nicht abzusprechen. Eine Spur verspielter nimmt sich der Tessinerplatz beim Bahnhof Enge aus, wo die Tramgleise und -haltestellen sowie der eigentliche Platz 2005/06 völlig neu gestaltet wurden. Laut der damaligen Baustelleninformation «legt sich ein Teppich aus unregelmässigen fünfeckigen Platten im Abstand von etwa zwei bis drei Metern über den Asphalt. Diese Struktur bringt das Thema der typischen Tessiner Granitplattenbeläge zum Ausdruck.»

Zuletzt ist noch ein internationaler Star unter den Plätzen zu nennen: der Marktplatz in Oerlikon. In den 1970er-Jahren bereits wurde er vom Parkplatz zur Begegnungszone umgestaltet. 2019 dann erneuerte das Tiefbauamt den abgenutzten Natursteinbelag; auf fast 4000 Qua­dratmetern verlegte man zwei Sorten Steinplatten von unterschiedlichem Rot. Sie bilden ein Netz von Recht­ecken und strahlen Ruhe und Wärme aus. 2022 erhielt der Platz einen Anerkennungspreis des deutschen Naturwerkstein-Verbandes in der Kategorie Landschaftsarchitektur und Freiraumgestaltung.

  • Sonntagnachmittag auf dem Tessinerplatz: Der Belag mit fünfeckigen Steinplatten ist speziell, aber trotzdem dezent. Bild: Tobias Hoffmann
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  • Markttag in Oerlikon: Der warmtönige Natursteinbelag auf dem Marktplatz wirkt am besten, wenn der Platz frei ist. Bild: Tobias Hoffmann
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Langlebig und unterhaltsfreundlich

Dennoch wird man den Eindruck einer gewissen Ärmlichkeit in Zürich nicht los. In einem Strategiepapier der Stadt zur Gestaltung von Zürichs öffentlichem Raum aus dem Jahre 2006 kann man lesen: «Im öffentlichen Stadtraum sind wenige, bevorzugt langlebige, unterhaltsfreundliche und bewährte sowie die Sinne ansprechende Materialien und Elemente anzuwenden. Sie sollen für Nutzende einladend wirken. [...] Das Farbspektrum ist in zurückhaltenden Tönen zu halten.» Da haben wir sie schwarz auf weiss: die zürcherische Zurückhaltung. Für die Umsetzung der Strategie ist dann in Bezug auf die Beläge nicht weniger nüchtern notiert: «Je nach Funktion des Platzes ist zwischen den Standardbelägen Asphalt, wasserdurchlässige Beläge und Pflästerung in Quarzsandstein zu wählen.» Eine Einladung zu kleinen gestalterischen Eskapaden klänge ganz anders.

Das Tiefbauamt, konfrontiert mit dem «Vorwurf» der Asphaltmonotonie, wehrt sich. Evelyne Richiger zählt, neben den oben genannten Beispielen, eine ganze Reihe von Platzgestaltungen auf. Wenn man diese Orte aufsucht, kommt man allerdings zum Schluss, dass die einzige wesentliche Variante zum Asphalt die beiden oben genannten Elemente sind: wasserdurchlässige Beläge wie Kies und Sand sowie Pflastersteine, die in der Altstadt bekanntermassen grossflächig zum Einsatz kommen, dem historischen Kontext gemäss. Es gibt wohl Plätze mit Ansätzen zu gestalterischer Auflockerung, etwa den Helvetiaplatz, den Bullingerplatz, den Lindenplatz in Altstetten und als wohl gediegenstes, stadtteilkonformes Beispiel den Römerhofplatz in Hottingen.

  • Pflästerung, Brunnen, Pflanzen auf dem Bullingerplatz – alles recht schön. Farbe kommt aber hauptsächlich von den Pflanzkübeln. Bild: Tobias Hoffmann
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  • Ein seitlicher Teil des Bullingerplatzes mit hoher Aufenthaltsqualität. Farbig ist allerdings vor allem der Abfallkübel. Bild: Tobias Hoffmann
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Selten aber kommen eigenwillige Gestaltungselemente vor, etwa beim 2012 aufgewerteten Vulkanplatz auf der Rückseite des Bahnhofs Altstetten: Die chaussierte, also leicht erhöhte baumbestandene Kiesinsel in der Tramwendeschlaufe ist von einem ornamentalen Metallband gefasst, das an die industrielle Umgebung erinnert (siehe Bild unten). Der Max-Bill-Platz in Neu-Oerlikon besticht mit einer dreieckigen Fläche, die aus rautenförmigen Flächen in Grau, Weiss und Anthrazit besteht, welche einen starken optischen Effekt erzielen.

  • Auf dem Vulkanplatz in Altstetten fasst ein ornamentales Metallband die zentrale Kies- und Bauminsel ein. Bild: Tobias Hoffmann
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  • Das von Mettler Landschaftsarchitektur entworfene Muster auf dem Metallband, das die gekieste Bauminsel auf dem Vulkanplatz fasst. Bild: Tobias Hoffmann
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Der Segen der Entsiegelung

In den meisten Fällen stellt jedoch die Begrünung das lebendigste Element dar. Und in dieser Hinsicht können sich die Massnahmen in Zürich sehen lassen: Im Laufe der letzten Jahre sind viele entsiegelte Flächen und zahlreiche neue Baumstandorte dazugekommen. Dort, wo die Bäume schon etwas zugelegt haben, zeigt sich jetzt im Frühling, was für angenehme Aufenthaltsinseln mitten in der Stadt entstanden sind. Ein schönes Beispiel ist der Anny-Klawa-Platz, der die Sihlfeldstrasse einfasst. Hier entstehen Farbe und Abwechslung ganz von alleine, ohne weitere teure bauliche Massnahmen. Die asphaltgraue Stadt bekommt ein freundliches Gesicht. Und natürlich ist der Einbruch der Natur nicht nur für das Aufbrechen der Monotonie, sondern auch für die Biodiversität und das Stadtklima ein Segen. Womit die Stadt Zürich dennoch nicht davon entbunden ist, ihren vielen Bewohnerinnen und Besuchern da und dort etwas attraktivere Beläge zu bescheren. Damit der Blick zu Boden nicht nur Kaugummiflecken zu bieten hat.

  • Hinter dem Lochergut wird es idyllisch: Der Anny-Klawa-Platz beidseits der Sihlfeldstrasse. Bild: Tobias Hoffmann
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  • Die Tischtennisschläger nicht vergessen: Eine Ecke des Anny-Klawa-Platzes hinter dem Lochergut. Bild: Tobias Hoffmann
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Tobias Hoffmann/Zürich24