Majken Grimm
Kursleiter André Wettstein und René Müller, der ihm assistiert, schieben den dunkelvioletten Vorhang zurück. Von den gemütlich wirkenden Kaffeetischen im Eingangsbereich der Lernstube Altstetten aus öffnet sich der Raum. Hinter dem Vorhang hatten sich Schreibtische versteckt. U‑förmig sind sie auf ein Whiteboard, einen grossen Bildschirm und ein Flipchart ausgerichtet. An der Wand stehen Schränke, aus denen sich die Teilnehmenden Laptops nehmen. «Computer und Handy im Alltag» heisst der heutige Kurs.
Wie viele Teilnehmende es jeweils sind, kann der Kursleiter nicht im Voraus abschätzen, denn jede und jeder kann spontan vorbeikommen. Mal sind es zwölf Personen, mal nur drei. Heute sind es sechs. Die Lernstube Altstetten befindet sich im sogenannten Stellwerk 500 der Hilfsorganisation Caritas Zürich an der Hohlstrasse.
Ein Leben lang lernen
Eine der Teilnehmenden ist Martina Steiner*. Sie besucht die Lernstube seit Januar 2024 und hat bereits eine Mappe mit Kursunterlagen zusammengetragen. Diese erklären etwa, wie die App der SBB für den digitalen Billettkauf funktioniert oder wie man gebrauchte Gegenstände auf dem Anzeigenportal Tutti verkauft. Die heutigen Programmpunkte hat Wettstein auf dem Flipchart notiert: Zehnfingersystem, Bewerbung schreiben, Mail schreiben, Bewerbung schicken. Die Lernstuben für Erwachsene richten sich an Personen, die Förderbedarf in Lesen, Schreiben, Rechnen oder dem Umgang mit Technik haben und sich darin verbessern wollen. Finanziert werden sie von Bund und Kanton. Die Spannbreite an Besuchenden in den Lernstuben ist sehr gross – es kommen Personen jeglichen Alters, aus unterschiedlichsten Berufsfeldern und mit individuellen Bedürfnissen und Anfragen.
«Viele Leute kommen zu uns, weil sie auf Stellensuche sind», sagt Mirjam Wenger, welche die Lernstube Altstetten leitet. «In dieser Situation stellen sie fest, dass ihnen Fertigkeiten fehlen.» Wer lange in derselben Arbeitsstelle tätig war und diese verliert, weiss manchmal nicht, worauf Arbeitgebende heute bei Bewerbungen achten und wie man die Unterlagen digital einreicht.
Auch Martina Steiner wandte sich aus diesem Grund an die Lernstube. 13 Jahre lang arbeitete sie für einen Hort in Deutschland, nun sucht sie eine neue Stelle in ihrem Fachbereich. «Ich schätze die professionelle und freundliche Unterstützung, die ich in der Lernstube erfahre», sagt Steiner. Neben der Hilfe mit Bewerbungen lernte sie auch interessante Tools kennen. So schaut sie auf Spaziergängen in der Natur gerne mit der Bilderkennungs-App Google Lens nach, wie Pflanzen heissen.
Am grossen Bildschirm zeigt André Wettstein Schritt für Schritt, wie die Teilnehmenden die Übungen zum Zehnfingersystem auf der Website der Lernstube finden. Es erscheint eine bunt gefärbte Tastatur, die illustriert, welche Tasten mit welchen Fingern zu drücken sind. Steiner beherrscht das Zehnfingersystem bereits, denn sie lernte es zu Schulzeiten auf der Schreibmaschine. So meldet das System auch bei höheren Lektionen nur wenige Tippfehler.
Anschliessend wird besprochen, welche Unterlagen in eine Bewerbung gehören: Anschreiben, Lebenslauf, Arbeitszeugnisse und Diplome. René Müller verteilt ein Muster, an dem sich die Teilnehmenden orientieren können. Mit dem Textverarbeitungsprogramm Word formulieren sie ihre eigenen Anschreiben am Laptop, wobei ihnen der Kursleiter und sein Assistent helfen. Müller zeigt Steiner, wie sie verschiedene Aufzählungszeichen nutzen kann, um die Beilagen der Bewerbung aufzuführen.
Bewerbung positiv aufgefallen
Um die Bewerbung individuell anzupassen, empfiehlt Wettstein den Teilnehmenden die Bewerbungswerkstatt der Lernstube. Steiner hat diese bereits besucht und gute Erfahrungen damit gemacht. Ein Arbeitgeber habe ihr sogar zurückgemeldet, dass ihr Anschreiben besonders positiv aufgefallen sei.
Das vollständige Bewerbungsschreiben im PDF-Format schicken die Teilnehmenden übungshalber per E-Mail an den Kursleiter. Als Steiner ihres nicht verschicken kann, geht Müller dem Problem auf den Grund. «Ist der Anhang zu gross?», fragt sie. Doch daran liegt es nicht: Nach zwei Testmails stellt Müller fest, dass der Speicherplatz ihres Mailprogramms voll ist. Er empfiehlt ihr, es zu Hause auszumisten beziehungsweise alte E-Mails zu löschen.
André Wettstein sieht sich währenddessen die E-Mails an, die er erhalten hat. Jemand hat sich vertippt: «Hiermit beerbe ich mich», heisst es im Mailtext. Jemand anderes hat den Anhang vergessen. Doch dafür ist der Unterricht ja da: um Fehler zu machen und zu lernen, wie es besser geht. Müller zeigt letzterem Kursbesucher noch einmal an dessen Laptop, wie er das PDF richtig an das E-Mail anhängt.
Schliesslich klappen die Teilnehmenden ihre Laptops zu. Manche nehmen sich von den Kaffeetischen noch ein Stück Schokolade, bevor sich alle verabschieden.
Steiner ist mit dem Besuch der Lernstube sehr zufrieden. Darum engagiert sie sich ehrenamtlich in der Botschaftsgruppe, die zum Ziel hat, das Angebot bekannter zu machen. «Die Lernstube ist ein niederschwelliges Angebot», sagt sie. «Das macht es einem leicht, hierherzukommen, weil einem geholfen wird. Da kann man sich sicher sein.»
* Name auf Wunsch geändert, um den Bewerbungsprozess nicht zu beeinflussen.