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Zürich West
22.06.2024
22.06.2024 12:36 Uhr

Darum musste das legendäre Café Boy schliessen

Diese Crew stemmte den Betrieb bis zum 21. Juni, dem letzten Betriebstag.
Diese Crew stemmte den Betrieb bis zum 21. Juni, dem letzten Betriebstag. Bild: Jeannette Gerber/Zürich24
Das geschichtsträchtige SP-Traditionslokal Café Boy an der Ecke Koch-/Sihlfeldstrasse im Kreis 4 schrieb während 90 Jahren Geschichte und ist nun selbst dazu geworden. Zürich24 war am letzten Tag dabei. Das Genick gebrochen hat der «Sozi-Beiz» Corona und das miese Wetter.

Jeannette Gerber

1934 im Bauhausstil gebaut, waren das Haus und das integrierte Café schon zu Beginn ein Versammlungsort für die proletarische Jugend, dann ein Refugium für Nazigegner, später ein Treffpunkt für die Linken, und schliesslich wurde «das Boy» zur Beiz der Sozialdemokraten. «Die Politküche Europas», wie sie es selbst nannten. Und nun musste diese Institution von einer Beiz schliessen – wegen Insolvenz.

Die Ironie der Gutmenschen

Wie ist das möglich in diesem trendigen, quirligen Quartier mit seinem vielfältigen Gastroangebot - exotisch bis gutbürgerlich? Das haben wir Marco Denoth, SP-Gemeinderat und Präsident der mit der SP verbundenen «Genossenschaft Wirtschaft zum guten Menschen», seit 2019 Pächter des Lokals, gefragt. Übrigens nennt sich die Genossenschaft so, weil die SP-Mitlieder von anderen Parteien immer wieder spöttisch als Gutmenschen betitelt wurden.

Das schöne Gebäude wirkt modern, obwohl der Bau schon 90 Jahre alt ist. Bild: Jeannette Gerber/Zürich24

Wegen Pandemie keine Stammkundschaft aufgebaut

«Kaum hatten wir eröffnet, wurden wir von der Pandemie eingeholt. Wir mussten das Lokal zweimal für mehrere Monate schliessen, sodass wir keine Chance hatten, eine Stammkundschaft aufzubauen,» erklärt Denoth. «Unser Konzept, alles radikal saisonal und regional anzubieten, liess sich nicht eins zu eins realisieren». Und das eine Zeitlang angebotene Food-Waste-Menü habe sich als überflüssig erwiesen, da das Küchenteam unter der Leitung von Roman Wyss für sich in Anspruch nähme, sowieso ganz ohne Resten zu kochen.

Strategie der geschlossenen Gesellschaften floppte

Und was die Öffnungszeiten betreffe, hätten sie versucht, zusätzlich an den Samstagen das Lokal an geschlossene Gesellschaften zu vermieten. «Wir haben gekämpft und uns mit vielen Möglichkeiten auseinandergesetzt. Doch leider vergebens. Dann mussten wir den Corona-Kredit inklusive Zinsen zurückbezahlen. Aber es war halt unser Traum», führt Denoth weiter aus. Sicher hätten sie auch Fehler gemacht, doch das schlechte Wetter in diesem Frühling habe ihnen den Rest gegeben.

Lieferanten wurden vor Konkurs informiert 

«Wichtig ist uns, dass wir trotzdem die Löhne und Sozialleistungen für die Mitarbeitenden bezahlen können. Die Lieferanten, die uns fünf Jahre die Treue hielten und nur mit erstklassiger Ware belieferten, informierten wir vor dem Konkurs und entschuldigten uns dafür,» erklärte Denoth. «Mir persönlich tut es weh, dass wir unserem hervorragenden Team kündigen mussten. Es liegt mir am Herzen, zu erwähnen, wie stolz wir auf die vom gesamten Personal gelieferte Qualität und dankbar für seinen mit Herzblut geleisteten Einsatz sind. Selbstverständlich werden wir allen bei der Stellensuche behilflich sein», hält Denoth fest. Auch der Sanierungsvorschlag der Besitzerin der Liegenschaft «Bonlieu Genossenschaft für Wohnen und Kultur» hätte nicht gereicht, die Schulden zu tilgen.

Licht und Schatten für Marco Denoth, den Präsidenten der Genossenschaft Wirtschaft zum guten Menschen. Bild: Jeannette Gerber/Zürich24

Immerhin: Mit dem zumindest für die direkt Beteiligten transparenten Vorgehen erwiesen sich die Verantwortlichen als faire Player. Dass es auch anders gehen kann, zeigte sich beispielsweise beim Konkurs des Kulturhauses Kosmos. Dort blieben Lieferanten wie etwa auch die eingemietet Buchhandlung auf ihren Forderungen sitzen, wie «Inside Paradeplatz» berichtete.

Es soll hier weiterhin ein Restaurant geben

Doch wie geht es nun mit dem Café Boy weiter? Zürich 24 hat sich bei Thomas Kamber, Vorstandsmitglied der Bonlieu, dazu erkundigt. «Es gibt mehrere relevante Interessenten, doch wir haben uns noch nicht entschieden. Allenfalls wird das Restaurant zuerst als Popup bewirtschaftet,» meinte er. Auf jeden Fall werde es ein Lokal mit sozialdemokratischem Gedankengut sein. Und bestimmt keine 08/15-Beiz, sondern eine auf der kulturellen Schiene. «Wir bedauern das Ende der «Genossenschaft Wirtschaft zum guten Menschen» sehr. Grundsätzlich hätte nicht viel zum Erfolg gefehlt. «Wir bedauern nicht, sie an Bord genommen zu haben», ist Kamber überzeugt.

Am 21. Juni, dem letzten Tag des Boys, fand eine «Ustrinkete» für die einsatzfreudige Belegschaft statt. Ein kleiner Abschied mit grossen Erwartungen für alle.

Das Café Boy im Jahre 1985. Damals brauste hier der ganze Transitverkehr nach Luzern und in den Süden vorbei. Die So genannte Westtangente. Bild: ETH-Bildarchiv/ Dieter Enz/1985
Jeannette Gerber/Zürich24