Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland
Auto & Mobil
03.08.2024
06.08.2024 13:38 Uhr

Sie bewegen schwere Maschinen

Einfahrt mit der S4 in den Bahnhof Selnau: Als Lokführerin oder Lokführer bei der Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn fährt man entweder vom Hauptbahnhof auf den Zürcher Hausberg oder ins Sihltal.
Einfahrt mit der S4 in den Bahnhof Selnau: Als Lokführerin oder Lokführer bei der Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn fährt man entweder vom Hauptbahnhof auf den Zürcher Hausberg oder ins Sihltal. Bild: Pascal Turin
Schöne Aussicht, herausfordernder Schichtdienst und verantwortungsvoller Job: Lokführerinnen und Lokführer bei der Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn transportieren jährlich über 14 Millionen Passagiere von A nach B. Dabei kann ihnen auch schon mal ein Reh begegnen.

Pascal Turin

Es ist Nachmittag, die Sonne steht hoch am Himmel. Andreas Fischer läuft an seinem leuchtenden roten Zug entlang. Er drückt auf alle Türöffnungsknöpfe. Die Türen gehen auf und schliessen sich wieder von selbst. Ein prüfender Blick unter den Zug, doch auch hier ist alles in Ordnung. Alle Schläuche hängen dort, wo sie sollen.

Fischer ist Lokführer bei der Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn (SZU). Mit seiner modischen Sonnenbrille, der Dächlikappe und dem Dreitagebart sieht er genau so aus, wie man sich einen Lokführer vorstellt. Der 61‑Jährige, ursprünglich gelernter Elektromechaniker, fährt schon seit zehn Jahren Züge auf den Uetliberg oder durchs Sihltal. Die Begeisterung für seinen Beruf ist ihm immer noch anzumerken: «Dafür, dass wir ja nicht sehr weit fahren, haben wir schon eine super Strecke», sagt Fischer. Das Streckennetz der Privatbahn ist nur rund 27 Kilometer lang. Zum Vergleich: Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) betreiben ein Netz mit einer Länge von über 3000 Kilometern.

Sie haben den Lokführer-Alltag gezeigt (v. l.): Alex Fischnaller (54) und Andreas Fischer (61). Bild: Pascal Turin

Bremsen testen gehört dazu

Bevor Fischer aber mit seinem Zug vom Depot beim Giesshübel in Wiedikon losrollen kann, muss er zuerst die Betriebssicherheit seines Fahrzeugs genau prüfen. Dazu gehört auch das Testen der Bremsen. Dafür steigt er die kurze Leiter hoch in den Führerstand. Der S‑Bahn-typische Doppelstockzug hat zum Glück eine Klimaanlage – im Gegensatz zum ältesten Rollmaterial, dass heute noch mehrheitlich zwischen Hauptbahnhof und Sihlwald verkehrt. «In den alten Lokomotiven wird es im Sommer im Führerstand ziemlich heiss. Da helfen nur offene Fenster», sagt Fischer und lächelt.

Allerdings sind die Tage der alten Züge gezählt. Das Verkehrsunternehmen hat 17 einstöckige S‑Bahn-Triebzüge für die Linie S4 ausgeschrieben. Die neuen Fahrzeuge werden dann einer Metro ähneln. Die Doppelstockzüge haben nämlich einen Nachteil: Schon länger ist bekannt, dass diese für die meist kurzen Distanzen zwischen den Haltestellen auf dieser Strecke ungeeignet sind. Das Ein- und Aussteigen dauert wegen der Treppen und nicht wenige Passagiere bleiben stehen, weil es sich fast nicht lohnt, einen Platz zu suchen. Das verstopft den Eingangsbereich.

Ob Fischer dereinst selbst mit den neuen Zügen fahren wird, ist offen. Die ersten Fahrzeuge könnten ab Frühjahr 2027 im Sihltal verkehren – also in frühstens drei Jahren. Das könnte knapp reichen, dann wäre er 64 und würde ein Jahr vor der Pension stehen. Auf die Frage, ob Fischer für die neuen Züge länger arbeiten würde, schüttelt er lachend den Kopf. Der Camping-Fan und Präsident der Genossenschaft Naturfreunde Zeltplatz am Greifensee hat wohl schon andere Pläne.

Die SZU will neues Rollmaterial beschaffen, die S4 könnte darum bald optisch einer Metro ähneln. Aktuell verkehren im Sihltal primär Doppelstockzüge. Bild: Pascal Turin

Nicht den Überblick verlieren

Doch zurück in den Führerstand: Bei der Menge an Technik verliert man als Laie schon schnell den Überblick. Weil man während der Fahrt nicht mit dem Lokführer sprechen darf, hat sich Alex Fischnaller dazugesellt. Der 54‑jährige Lokführer mit angenehmem Südtiroler Akzent ist seit rund zwei Jahren bei der SZU. Er ­erklärt mit viel Fachwissen die Signale, ­beruhigt, wenn plötzlich irgendwelche Piepstöne erklingen («das sind Warnsignale»), und erzählt vom Arbeitsalltag. Gearbeitet wird im Schichtdienst. Die frühste Schicht beginnt schon um 4 Uhr morgens. «Ein Auto ist von Vorteil, weil sonst nichts fährt», sagt Fischnaller. Im Depot muss der Zug zuerst auf seine Sicherheit geprüft und danach zum Ausgangsbahnhof gefahren werden.

Der gelernte Optiker findet den Job nicht stressig, aber anspruchsvoll. Man brauche eine vorausschauende Fahrweise – und man müsse bei Störungen überlegt reagieren und nicht selbst ins Schwitzen kommen. Flexibilität ist gefragt, wenn eine Kollegin oder ein Kollege kurzfristig ausfällt. Bei der SZU arbeiten rund 231 Mitarbeitende, davon sind rund 60 Personen Lokführerinnen und Lokführer.

Auf das traurige Thema Schienensuizid angesprochen, also wenn sich eine Person vor einen fahrenden Zug wirft, bleibt Fischnaller kurz stumm. Er hat zum Glück bisher keinen erleben müssen. Fischer schon. «Diese Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf. Aber man erhält gute Betreuung von der SZU, auch psychologische Hilfe, wenn man will», erzählt der erfahrene Lokführer nach der Fahrt. Zum Glück kommen solche Unfälle nicht oft vor. Eher steht mal ein Auto bei einem Bahnübergang auf dem Gleis oder ein Reh auf der Strecke zum Uetliberg.

Christian Rauch ist 41 Jahre alt und seit zwei Jahren bei der SZU. Vor seiner Zeit als Lokführer war der durchtrainierte Zürcher Ernährungsberater. Bild: Pascal Turin

Fahren mit schöner Aussicht

Szenenwechsel: Damit Lokführerinnen und Lokführer vielseitig einsetzbar sind, Abwechslung haben und keine Routine aufkommt, fahren sie immer auf beiden Linien. Nach ein paar Runden mit der Sihltalbahn geht es auf die Strecke zum Zürcher Hausberg oder umgekehrt. Die S10, die auf den Uetliberg fährt, verfügt über topmodernes Rollmaterial. Der Führerstand erinnert an ein Flugzeug-Cockpit.

Die Strecke lässt die Stadt vergessen – zwei Rehe begegnen uns auf der Fahrt, die viel durch den Wald führt. Blockiert eines das Gleis, wird es mit einer Luftdruck-Einrichtung verscheucht. Pfeifen ist kontraproduktiv, denn dann verfallen die Tiere in eine Art Schockstarre.

Die Strecke der Uetlibergbahn ist schön, doch Christian Rauch fährt am liebsten mit der Sihltalbahn. Er pfeift beim einzigen unbewachten Bahnübergang der Strecke. Damit werden die Wanderinnen und Wanderer gewarnt, die sonst einfach übers Gleis latschen würden. Rauch ist 41 Jahre alt und seit zwei Jahren bei der SZU. Vor seiner Zeit als Lokführer war der durchtrainierte Zürcher Ernährungsberater und Fitnesscoach.

Fans von Datingshows dürften Rauch von der Schweizer TV-Show «Die Bachelorette» kennen – Aficionados auch von der US-amerikanischen Show «The Bachelor Winter Games». Dort erreichte er sofort Kultstatus. Bei der SZU fehlen zwar die Kameras, Rauch fühlt sich aber allein im Führerstand pudelwohl. «Als Personal Trainer hatte ich immer viel Kundenkontakt, darum geniesse ich meinen Job besonders.»

Rauch ist wie Fischnaller ein typischer Quereinsteiger. Von diesen braucht die SZU in Zukunft noch mehr, weil sie ihr Angebot weiter ausbauen will – unter anderem soll der Taktfahrplan auf Teilabschnitten beider Linien verdichtet werden. Dafür sind zum Beispiel neue Doppelspur-Abschnitte oder der Umbau des Tiefbahnhofs im Hauptbahnhof geplant. Laut eigenen Angaben investieren der Bund, der Kanton Zürich und die SZU in den nächsten Jahren rund 800 Millionen Franken in neues Rollmaterial und in die Infrastruktur.

Auf der Uetliberg-Strecke trifft man auch Rehe. Bild: Pascal Turin

Neues Lokpersonal gesucht

Die SZU hat eine Kampagne gestartet, um Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger für den Beruf zu gewinnen. Die sechsmonatige Ausbildung ist bezahlt. Voraussetzung sind ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis oder eine Matura sowie einige Jahre Berufserfahrung.

Doch der Kampf um Fachkräfte ist kein einfacher. Die SBB haben kürzlich die grossen Geschütze aufgefahren und Ende Mai sogar einen Loksimulator im Hauptbahnhof aufgestellt. Denn auch die Bundesbahn will in die Ausbildung von Lokführerinnen und Lokführern investieren.

Das ist allerdings für das Lokpersonal von Vorteil, weil sich die Bedingungen für die Angestellten so zwangsläufig laufend verbessern: Selbst Teilzeitarbeit ist heute möglich, etwas, was früher kein Thema war. Alle, die ihren Buben- oder Mädchentraum doch noch erfüllen möchten, haben also aktuell gute Karten.

Das SZU-Personal hat in den Katakomben des Hauptbahnhofs einen Pausenraum. Bild: Pascal Turin

Infos für alle, die Lokführerin oder Lokführer werden wollen: www.szu.ch/lokpersonal

Pascal Turin/Zürich24