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Zürich West
19.08.2024
16.08.2024 12:41 Uhr

Leiser die Glocken nie klingen

Die einen stören sich daran, für die anderen ist es Tradition: Zwei der Glocken in der Grossen Kirche Altstetten läuten nun leiser.
Die einen stören sich daran, für die anderen ist es Tradition: Zwei der Glocken in der Grossen Kirche Altstetten läuten nun leiser. Bild: Lisa Maire
Die Arbeiten haben einen Meilenstein erreicht: Zwei der fünf Glocken der reformierten Grossen Kirche Altstetten läuten nun leiser, was viele Nachbarinnen und Nachbarn freut. Der Glockenturm der Neuen Kirche Albisrieden steht als Nächstes auf der Liste.

Ariane Gigon

Der Glockenturm, der zwischen 1939 und 1942 zusammen mit der neuen Kirche erbaut wurde, ist ein markantes Gebäude in Zürich-Altstetten und fungiert auch als Uhr. Von Mitte Juni bis Mitte Juli konnte sich die Bevölkerung nicht mehr auf die Zeitangabe verlassen. Die beiden Zeiger blieben stehen und die Glocken verstummten – zur Freude einiger.

Am 17. Juli, am Tag der Läuteproben, nahmen die Zeiger der Uhr schliesslich wieder ihren regelmässigen Lauf, begleitet vom nun leiseren Glockenklang, wieder auf.

Was war geschehen? Eine Panne oder ein technischer Defekt? Nein, erklärt Fabian Kramer, Medienverantwortlicher der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Zürich, «es gab keine Reparatur der Glocken, sondern Massnahmen zur Lautstärkenminderung und Sicherheitsanpassungen».

Die Mitglieder der reformierten Kirche im Kreis 9 wussten jedoch Bescheid: Anfang Juni wurde auf der Website über die Schalldämmungsarbeiten für einen «angenehmen Glockenklang» informiert. ­Einige Anwohner wandten sich mit Fragen an die Verantwortlichen, jedoch handelte es sich meist um Interessensfragen und nicht um Beschwerden, fügt Kramer an.

Kirchen haben reagiert

In Zürich wie auch anderswo in der Schweiz sehen sich die Kirchen seit etwa 15 Jahren mit einer wachsenden Unzufriedenheit in Bezug auf das Glockengeläut konfrontiert. Das Bundesgericht hat mehrfach das Recht der Bevölkerung auf Nachtruhe betont, aber auch die Bedeutung der Tradition anerkannt. Die Zürcher Kirchen reagierten darauf, indem sie unter anderem die Glocken von 22 bis 7 Uhr morgens aussetzen und 2021 neue Vorschriften erlassen haben – bei den Reformierten die «Lautordnung» und bei der römisch-katholischen Kirche «Empfehlung für das Glockenläuten». Beide Gemeinschaften haben zudem Massnahmen zur Schalldämmung ergriffen.

Die reformierte Kirche hat sich für eine «effiziente und zugleich verhältnismässig kostengünstige Umrüstungsmethode entschieden, bei der man sich mit schrittweiser Anbringung von Metallmasse bei jeder Glocke an das optimale Läuteverhalten herantastet», erläutert Fabian Kramer. In Altstetten «reichte die vorbereitete Metallmasse nicht aus, es mussten neue Teile gefertigt werden, um auf das Zielgewicht zu kommen.» Aber warum wurde auch die Uhr angehalten? «Weil ihr Steuerungssystem ausgetauscht wurde», antwortete der Sprecher.

Zwei der fünf Glocken, die kleineren, sind nun leiser. Doch die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen: «Im September wird die zusätzliche Masse eingebracht. Dann werden die Glocken intoniert», so Kramer. Da es nur wenige ­spezialisierte Firmen gibt, werden die Glocken nacheinander saniert. Der Glockenturm der Neuen Kirche Albisrieden steht als Nächstes auf der Liste, möglicherweise Anfang nächsten Jahres.

Glockenklang weckt Emotionen

Auch die katholische Kirche der Stadt Zürich ist sich des Themas bewusst: «Es gibt nicht wenige Menschen, die das Glockengeläut schätzen und mit ihm eine emotionale Verbindung haben, das darf man nicht vergessen», erklärt Mediensprecher Oliver Kraaz.

Neben dem nächtlichen «Schweigen» der Glocken wurden auch bauliche Massnahmen punktuell vorgenommen, um Lärmbeeinträchtigungen zu vermeiden. Kraaz nennt das Beispiel der Guthirt-Kirche: «Der Klang der Glocken konnte anlässlich der Sanierung der Kirche auf eine angemessene Lautstärke eingestellt werden. Das Ergebnis ist ein heller, harmonischer Klang.» Was die übrigen Kirchen betreffe, würde der Mechanismus der Glocken immer wieder überprüft und spätestens bei Sanierungen angepasst.

Rund um den Lindenplatz haben jedenfalls viele Menschen den Unterschied an der reformierten Kirche bereits bemerkt. Ein Lehrer, dessen Schlafzimmer in direkter Luftlinie zu den Kirchenglocken liegt, ist sehr glücklich, dass es leiser wurde. Auch Anna, eine 22-jährige Studentin, begrüsst, dass die Glocken diskreter wurden.

«Auch bei uns haben viele Menschen eine emotionale Verbindung zum Klang der Kirchenglocken», sagt abschliessend Fabian Kramer. Insofern beruhen alle Massnahmen beim Glockengeläut immer auf einer sorgfältigen Abwägung unterschiedlicher Interessen.»

Vielleicht wird die Frage des Glockenlärms doch irgendwann keinen Lärm mehr machen …

Ariane Gigon, Zürich24