Jeannette Gerber
Es gibt 39 Tätigkeiten (hebräisch: Melachot), die nach jüdischem Recht betreffend den Schabbat durch das biblische Gesetz an diesem Tag verboten sind. Unter anderem ist das Tragen von Gegenständen im öffentlichen Raum wie Handtaschen, Schirmen, Schlüsseln und vielem mehr nicht gestattet. Auch dürfen Kinderwagen, Rollstühle und Gehhilfen nicht benützt werden. Die Einhaltung des Schabbats ist eines der jüdischen Zehn Gebote. Er beginnt am Vorabend und dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am folgenden Samstag.
Ein sogenannter Eruv (hebräisch für Mischung) erleichtert den orthodoxen Jüdinnen und Juden den Schabbat sehr. «Der Eruv ist ein typisch talmudischer Kniff», stellte der FDP-Kreis-3-Gemeinderat Jehuda Spielman fest. Mit etwas Kreativität würde ermöglicht, überlieferte Regeln einzuhalten und gleichzeitig ein modernes Leben zu führen.
Nicht nur in Zürich so
In den Metropolen Amsterdam, Antwerpen, London, Manchester, Paris, Venedig, Wien, New York und natürlich in ganz Israel existieren Eruvim (Anmerkung: Das ist der hebräische Plural von Eruv).
Bei einem Eruv handelt es sich um eine definierte Zone, in welcher verbotene Tätigkeiten während des Schabbats erlaubt sind. Auf einer Länge von 18 Kilometern um ein Gebiet von 14 Quadratkilometern wird mit Nylonfäden ein erweitertes Zuhause abgesteckt. Die Zone wird durch eine auf ungefähr zehn Metern Höhe montierte Nylonschnur mit dem symbolischen Einbezug von bereits bestehenden Zäunen oder Mauern bestimmt.
Vor drei Jahren hatte der jüdisch-orthodoxe Unternehmer und ICZ-Mitglied Cédric Bollag die Idee, einen Eruv in Zürich erstellen zu lassen. Er wollte sich für die jüdische Gemeinschaft engagieren und bildete zu diesem Zweck zusammen mit seiner Frau Naomi eine WhatsApp-Gruppe, die auf grosses Interesse stiess. Diese Zeitung berichtete darüber. 2021 gründete Cédric Bollag dafür die Eruv-Stiftung.
Das anstehende Projekt ist für die Quartiere Wiedikon, Enge und Wollishofen, wo viele orthodoxe Familien leben, geplant. Da die städtische Baubewilligung vorliegt, sind die Bauarbeiten voll im Gange und werden voraussichtlich im Frühjahr 2025 vollendet sein. Wer sich ein Bild davon machen möchte: Beim Bärenbrüggli am Schanzengraben ist bereits ein Teil des Nylonfadens, kaum sichtbar, an einem Masten montiert.
Und die Kosten?
Wie viel der Bau und der Unterhalt kosten werden, wollte diese Zeitung von Cédric Bollag wissen. «Der Eruv ist mit 1,5 Millionen Franken und dessen Unterhalt mit jährlich 50 000 Franken budgetiert. Diese Summe inkludiert die wöchentliche Kontrolle und mögliche Reparaturen», so Bollag. Und weiter: «Was die Finanzierung betrifft: Das Eruv-Projekt ist eine private Initiative, welche von den drei jüdischen und orthodoxen Gemeinden in Zürich getragen wird, namentlich ICZ, IRG und Agudas Achim», so Bollag. Das sind also die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ), die Israelitische Religionsgesellschaft (IRG) und die Jüdische Gemeinde Agudas Achim. Alle drei Gemeinden würden sich mit je 175 000 Franken beteiligen. Der Rest obliege privaten Spenden.
Die Abstimmung
Über diese Mitfinanzierung hatte die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ) anlässlich der kürzlichen Gemeindeversammlung abgestimmt. Die Mehrheit hatte entschieden, dass sich die Gemeinde mit genannten 175 000 Franken an die Eruv-Stiftung beteiligen und ab 2025 eine jährliche Unterhaltssumme von 10 000 Franken leisten werde.
Argumente dafür und dagegen
Diese Zeitung hat den Rechtsanwalt Armin Zucker, der als Gemeindemitglied an der Versammlung teilgenommen hatte, nach seinen Argumenten dafür und dagegen gefragt. «Für die orthodoxen Gemeindemitglieder bringt der Eruv gewisse Erleichterungen bei der Einhaltung des Schabbats. In der Israelitischen Cultusgemeinde halten jedoch höchstens 20 Prozent der Mitglieder die Schabbatgebote ein. Somit bringt der Eruv für die grosse Mehrheit der ICZ keinen Nutzen, da sie die obgenannten Gebote des Schabbats nicht befolgt», findet Zucker. Daher habe er zur Diskussion gestellt, ob die ICZ überhaupt finanziell zu diesem Projekt beitragen sollte, obschon die meisten Mitglieder von dieser Einrichtung keinen Gebrauch machen werden. «Dieser Finanzbeitrag wäre meines Erachtens besser in die Sicherheit oder die Flüchtlingshilfe investiert worden, wo mehr Mitglieder davon profitiert hätten», ist Zucker überzeugt. «Bei der Abstimmung überwogen bei weitem die Stimmen derjenigen, welche die Finanzbeteiligung am Eruv als einen Beitrag der liberalen Mehrheit an die orthodoxe Minderheit betrachten», so Zucker weiter. Dies würde dem Gedan-ken der ICZ-Einheitsgemeinde, die nicht orthodoxe und orthodoxe Juden erfasse, entsprechen. «Der Entscheid erging demokratisch, sodass ich ihn selbstverständlich akzeptiere», betont Armin Zucker.
Auf Anfrage sagte Rabbiner Ruven Bar Ephraïm gegenüber dieser Zeitung, dass sich die Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch (ILG) finanziell nicht beteilige, da ihre Mitglieder den Eruv nicht beanspruchten. Er betonte jedoch, dass die JLG das Projekt an und für sich unterstütze.