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Zürich 2
12.11.2024

Nachruf: Ein Kämpfer für soziale Gerechtigkeit

Der ehemalige LDU-Kantonsrat Erich Hollenstein ist im Alter von 86 Jahren gestorben.
Der ehemalige LDU-Kantonsrat Erich Hollenstein ist im Alter von 86 Jahren gestorben. Bild: zvg
Erich Hollenstein, der ehemalige Wollishofer Pfarrer, Gefängnisseelsorger, Religionslehrerund Politiker, ist im Alter von 86 Jahren verstorben.

Erich Hollenstein wurde 1938 in Zürich ­geboren und wuchs zusammen mit zwei Brüdern in Oerlikon, Leimbach und Opfikon-Glattbrugg auf. Nach der Matura mit Latein und Griechisch absolvierte er an der Universität Zürich ein Theologiestudium. Sein Praktikumsjahr bestritt er in der Zürcher Predigerkirche.

1964 übernahm er sein erstes Pfarramt in Zürich-Affoltern, bevor er 1971 ins Pfarramt in Wollishofen gewählt wurde. An dieser Stelle blieb er während 32 Jahren bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2003. Als Pfarrer engagierte er sich leidenschaftlich in der Konfirmanden- und Jugendarbeit. Er leitete über Jahre erfolgreich den Jugendtreff am Hauriweg und führte mit Jugendlichen erlebnisreiche Lager, oft im Tessin und in Italien, durch. Erich Hollenstein konnte man regelmässig in Wollishofen beispielsweise im Morgental antreffen, wo er sich gerade mit jemandem in einem Gespräch befand.

Er interessierte sich für die Menschen mit ihren Lebensgeschichten und Lebenssituationen. Sein vielseitiges Schaffen und mannigfaltige Interesse konnte man bei ihm auch als Gesprächspartner erkennen. Er war an unterschiedlichen Themen sehr interessiert.

Neben seiner Tätigkeit in Wollishofen war er während 25 Jahren als Religionslehrer an der Kantonsschule Rämibühl tätig. 1988 übernahm er bis zu seiner Pensionierung ein Pensum als Gefängnisseelsorger am Bezirksgefängnis Zürich sowie im Massnahmenzentrum Uitikon.

1995 wählten ihn die Wahlberechtigten des Wahlkreises 1 als Vertreter des Landesrings der Unabhängigen (LDU) in den Zürcher Kantonsrat. Dort war er Mitglied in der Kommission für Planung und Bau wie auch in der Kommission Staat und Gemeinden. Im Kantonsparlament, welchem er zwei Legislaturperioden angehörte, setzte er sich unter anderem für die Verbesserung der Haftbedingungen in der Untersuchungshaft wie auch für die gesetzliche Regelung der registrierten Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare ein.

Auch im Quartier Wollishofen engagierte er sich über die Kirchgemeinde ­hinaus. Er war Mitglied der damals existierenden Heimkommission für das Alterswohnheim Tannenrauch von «Altersgerechtes Wohnen Wollishofen», mehrere Jahre Mitglied des Vorstandes des Quartiervereins Wollishofen sowie in der beratenden Kommission des Zürcher Stadtrates für die Rote Fabrik. Ebenfalls war er mehrere Jahre Mitglied der Syno­de, des Parlaments der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich.

Die «Neue Zürcher Zeitung» schrieb zum Abschied von Erich Hollenstein aus dem Pfarramt einen Artikel und setzte diesen unter den Titel «Anwalt der Schwachen». Erich Hollenstein hat sich zeitlebens für Menschen eingesetzt, die am Rande der Gesellschaft standen. Er begleitete viele Menschen, die sich in schwie­rigen Lebenssituationen befanden und Unterstützung brauchten.

Die Seelsorge war ihm ein grosses Anliegen in seiner Arbeit. Mit wachem Blick und einem freundlichen Lächeln hörte er den Menschen aktiv zu. Und dort, wo es eine Handlung nötig machte, handelte er. Brauchte es etwa eine juristische Abklärung, holte er sich juristischen Rat ein. Er gehörte zu denjenigen Theologen, welche das soziale Handeln nicht nur predigten, sondern ins Zentrum des beruflichen Handelns stellten.

In seiner Abschiedspredigt aus dem Wollishofer Pfarramt im September 2003 kam sein Engagement für die sozial benachteiligten Menschen nochmals klar zum Ausdruck: «Wie viele Menschen müssen immer wieder erleben, dass sie am Rande bleiben. Sie spüren und hören: ‹Wir brauchen dich und deine Gaben nicht.› Es sind Jugendliche, Alte, Leute mitten im Beruf, Fremde, aber auch Einheimische. Im Grunde kann es jede und jeden treffen.»

Nach seiner Pensionierung engagierte er sich weiter für Menschen, die Unterstützung brauchten. Er war Mitglied der Bezirkskirchenpflege Zürich, der Behörde, welche die Aufsicht über Kirchgemeinden und kirchliche Institutionen ausübt. Er genoss es im Kreise seiner Familie, wohnte in seiner geliebten Eigentumswohnung in Wollishofen, ging regelmässig ins Engadin und auf Reisen in die weite Welt hinaus.

In den letzten Jahren liessen seine Kräfte zusehends nach. Nach einem Herzinfarkt wurde er notfallmässig ins Triemlispital überführt.

Am 16. Oktober 2024 ist Erich Hollenstein friedlich eingeschlafen.

Marco Kägi