Wir leben in einer angenehmen Stadt: Der öffentliche Verkehr ist pünktlich, die Kriminalität tief, und die Schulen sind gut. Doch fehlt etwas.
Als meine Frau, die in Istanbul aufwuchs, das erste Mal in Zürich war und wir uns auf einer menschenleeren Strasse im Kreis 6 befanden, fragte sie mich: «Wo sind alle Leute hin?» Sie erklärte sich die Abwesenheit von Menschen auf der Strasse mit Schulferien oder Ähnlichem. Doch es war ein ganz normaler Samstagabend. In Istanbul wimmelt es auf der Strasse von Menschen – gerade so wie in den Wimmelbüchern, die wir unserem Sohn vorlesen. Doch in Zürich ist es ausserhalb des Zentrums oft menschenleer und scheinbar verlassen. Zürich muss nicht Istanbul, Rom oder Madrid sein – doch es dürfte sich durchaus ein Stück von diesen belebten Städten abschneiden. Denn was Zürich wirklich fehlt, ist nicht ein noch pünktlicherer ÖV, sondern etwas mehr Leben im öffentlichen Raum.
Dass die Stadtpolitik einen positiven Einfluss auf die Lebendigkeit Zürichs haben kann, sehen wir beispielsweise an der erhöhten Aussenbestuhlung von Restaurants: Seit der Pandemie dürfen Gastronomiebetriebe mehr Tische auf einer grösseren Aussenfläche vor ihren Lokalen aufstellen. Der Effekt: Ehemals ausgestorbene Plätze werden neben den Restaurantbesuchern/-innen auch von weiteren Menschen benutzt, die – wie im Kreis 6 beim Haldenbachplatz – z. B. Boccia spielen. Dies verpasst den Zürcher Quartieren zwar noch kein mediterranes Flair, aber haucht ihnen zumindest etwas Leben ein.
Es freut mich deshalb, dass in den letzten Jahren ein Umdenken im Zürcher Gemeinderat stattgefunden hat: So unterstützt mittlerweile eine breite Koalition von der SP bis zur FDP (aber oft ohne AL und Grüne), manchmal sogar mit der SVP, die Belebung des öffentlichen Raums. So berät das Stadtparlament in den nächsten Wochen gleich über drei mehrheitsfähige Vorstösse, welche es attraktiver machen werden, im Aussenbereich von Restaurants und Bars zu verweilen. Neben Erleichterungen für Gastronomiebetriebe geht es auch um die Erschliessung und Begrünung von öffentlichen Orten. So sollen beispielsweise mehr Holzstege an der Limmat gebaut oder die Bepflanzung von Bäumen und Sträuchern auf öffentlichen Plätzen vorangetrieben werden.
In der Zürcher Politik dauert es meist viele Jahre, bis aus einem parlamentarischen Vorstoss ein umgesetztes Projekt wird. Und so ist auch die Belebung der Stadt Zürich ein langer Prozess. Es ist jedoch zu erwarten, dass Touristen/-innen in den 2030er-Jahren auf Zürcher Strassen nicht mehr fragen müssen, wo denn alle Leute hin seien.