Ich war gewarnt: Im Zürcher Gemeinderat, so hatte ich gehört und gelesen, gehe es gehässig und unversöhnlich zu und her. Ideologische Grabenkämpfe verhinderten jeglichen Konsens. Was ich bisher seit meinem Amtsantritt Mitte Dezember 2023 erlebt habe, bestätigt dies nur zum Teil. Der Ratsbetrieb gleicht einem farbenfrohen Theater – einer Verbindung von hoher Kunst und surrealer Komödie, bei der die Protagonisten sowohl Akteure als auch Zuschauer sind.
Im Gemeinderat wird rege diskutiert und debattiert. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier schlendern während der Sitzung durch den Ratssaal, um sich zu beschweren, Absprachen zu treffen oder einfach zu plaudern. Die Reden erstrecken sich oft über die Zeit hinaus, die Rednerliste kann gut und gerne 25 Personen lang sein. Einige Ratsmitglieder scharren dann ungeduldig mit den Füssen oder unterbrechen mit Zwischenrufen, als wäre dies eine misslungene Vorstellung ihrer Lieblingskomödie im Lokaltheater.
Immer wieder lässt die Ratspräsidentin die Glocke klingeln und mahnt zur Ruhe – oft mit bescheidenem Erfolg. Manchmal werden die Reden auch bewusst künstlich verlängert. «Filibustern» nennt sich dies: Durch Dauerreden wird versucht, eine Beschlussfassung zu verhindern oder zu verzögern. Zuweilen ist der Schlagabtausch doch auch unfreundlich, bissig und rabiat. Man wirft sich gegenseitig vor, unmenschlich und antidemokratisch zu sein.
Trotz offensichtlicher Unterschiede der politischen Überzeugungen zeigen sich die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte immer wieder über das Statement der Gegenseite «empört», «irritiert» oder «überrascht» − als ob es eine Überraschung wäre, wenn die SVP gegen das Gendern ist oder Links-Grün für flächendeckendes Tempo 30 auf den Zürcher Strassen. Doch selbst in dieser Arena gefestigter Meinungen gibt es Überraschungen. So wollte die linke Mehrheit Einkommenslimiten bei der Vergabe von günstigen Wohnungen streichen und sorgte damit während Tagen für Aufregung (und Empörung). Eine Woche später scherte die AL aus dem linken Bündnis aus und kippte den wohnpolitischen Grundsatzentscheid – es kommt selten vor, dass Parteien plötzlich ihre Position komplett ändern.
In diesem Theater bleibt nur eines gewiss: Der Vorhang fällt nie endgültig im Zürcher Gemeinderat. Ich freue mich auf die kommenden Tage und Wochen. Langweilig wird es bestimmt nicht!